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200 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 
 
daz iu der munt noch werde wan, 
5 ich mein der zungen drinne, 5 
als iu daz herze ist rehter sinne! 
gein der helle ir sît benant 
ze himele vor der hôhsten hant: 
als sît ir ûf der erden, 
10 versinnent sich die werden. 10 
ir heiles ban, ir sælden vluoch, 
des ganzen prîses reht unruoch! 
ir sît manlîcher êren schiech, 
und an der werdekeit sô siech, 
15 kein arzet mag iuch des ernern. 15 
ich wil ûf iuwerem houbte swern, 
gît mir iemen des den eit, 
daz grœzer valsch nie wart bereit 
deheinem alsô schœnem man. 
20 ir vederangel, ir nâtern zan! 20 
iu gap iedoch der wirt ein swert, 
des iuwer wirde wart nie wert: 
da erwarb iu swîgen sünden zil. 
ir sît der hellehirten spil. 
25 gunêrter lîp, hêr Parzivâl! 25 
ir saht ouch vür iuch tragen den grâl, 
und snîdende silber und bluotic sper. 
ir vröuden letze, ir trûrens wer! 
wær ze Munsalvæsche iu vrâgen mite, 
in heidenschaft ze Tabronite 
317 Diu stat hât erden wunsches solt: 317 
hie hete iu vrâgen mêr erholt. 
jenes landes künegîn 
Feirefîz Anschevîn 
5 mit herter ritterschefte erwarp, 5 
an dem diu manheit niht verdarp, 
diu iuwer bêder vater truoc. 
iuwer bruoder wunders pfligt genuoc: 
ja ist beidiu swarz unde blanc 
10 der küngîn sun von Zazamanc. 10 
nu denke ich ave an Gahmureten, 
des herze ie valsches was erjeten. 
von Anschouwe iuwer vater hiez, 
der iu ander erbe liez 
15 denn als ir habt geworben. 15 
an prîse ir sît verdorben.
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 201
 
 

Es werde Euer Mund so leer—

(5) die Zunge weg, so mein ich das—/ wie Euer Herz gefühlsleer ist. / Im Himmel, vor dem Höchsten Gott, / sieht man Euch schon in der Hölle; / es wird auch so auf Erden sein,

(10) sobald die Edlen Euch durchschauen. / Heilsvernichter, Glückzerstörer! / Seid ohne Sinn für wahren Ruhm! / Ihr scheut die Ehre aller Tapfren, / Eure Würde siecht dahin,

(15) kein Arzt wird Euch da helfen können. / Ich schwöre Euch, bei Eurem Haupt / (falls jemand meinem Eide glaubt): so große Falschheit gab es nie / bei einem derart schönen Mann.

(20) Köderfliege, Natternzahn! / Der Burgherr schenkte Euch sein Schwert—/ Ihr seid es überhaupt nicht wert! / Ihr habt gesündigt, als Ihr schwiegt! / Flötenspiel des Höllenhirten!

(25) Herr Parzival, Ihr seid verflucht! / Man trug sogar den Gral vor Euch, / das schneidende Silber, die blutige Lanze! / Ihr nehmt das Glück, Ihr gebt das Leid. / Hättet Ihr auf Mont Salvage / gefragt, Ihr hättet mehr gewonnen / als Tabronit im Heidenland—

(317) die Stadt der irdischen Erfüllung. / Fairefis von Anjou

(5) errang in einem harten Ritterkampf / die Königin von jenem Land; / in ihm erhielt sich noch der Mut, / den Euer Vater einst besaß. / Euer Bruder ist ein Wunder, / wahrlich, er ist schwarz und weiß,

(10) der Sohn der Königin von Sasamancs. / Ich denke hier an Gahmuret, / der Falschheit aus dem Herz gejätet. / Ein Anjou war Euer Vater, / hat ein Erbe hinterlassen,

(15) dem Eure Taten nicht entsprechen; / Euer Ruhm ist ganz dahin.

Szene aus "Parzival" (Handschrift G, 1228-1236)
 
202 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 
 
het iuwer muoter ie missetân, 
sô solte ichz dâ vür gerne hân, 
ihr möht sîn sun niht gesîn. 
20 nein, si lêrte ir triuwe pîn: 20 
geloubet von ir guoter mære, 
und daz iuwer vater wære 
mânlîcher triuwe wîse 
unt wîtvengec hôher prîse. 
25 er kunde wol mit schallen. 25 
grôz herze und cleine gallen, 
dar ob was sîn brust ein dach." [...] 
319 Cundrîe la surziere, 319 
diu unsüeze und doch diu fiere, 
den Wâleis si beswæret hât. 
waz half in küenes herzen rât 
5 unt wâriu zuht bî manheit? 5 
und dennoch mêr im was bereit 
scham ob allen sînen siten. 
den rehten valsch het er vermiten: 
wan scham gît prîs ze lône 
10 und ist doch der sêle crône. 10 
scham ist ob siten ein güebet uop. 
[...] 
331 daz er sô trûrec von in reit, 331 
ich wæn, daz was in allen leit. 
Artûs lobte im an die hant, 
kœm imer in sölhe nôt sîn lant 
als ez von Clâmidê gewan, 
des lasters wolde er pflihte hân: 
15 im wære ouch leit daz Lähelîn 15 
im næm zwuo rîche crônen sîn. 
viel dienstes im dâ maneger bôt: 
den helt treip von in trûrens nôt. 
[...] 
dô kuste in mîn hêr Gâwân: 
dô sprach der manlîche 
ze dem helde ellens rîche 
25 "ich weiz wol, vriunt, daz dîn vart 25 
gein strîtes reise ist ungespart. 
dâ geb dir got gelücke zuo, 
und helfe ouch mir daz ich getuo 
dir noch den dienst als ich kan gern.
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 203
 
 

Hätt Eure Mutter einen Fehltritt / je begangen, dächte ich: / Ihr seid niemals dessen Sohn!

(20) Doch ihre Treue schuf ihr Leid. / So glaubt an ihren guten Ruf / und auch, daß Euer Vater wußte, / was treue Liebe heißt, beim Mann. / Ein starker Greifer hohen Ruhms...

(25) Auch konnte er sehr fröhlich sein. / Ein großes Herz in seiner Brust, / jedoch die Galle war nur klein."

[...]

(319) Cundrie, la sorcière, / die Häßliche, zugleich doch Stolze, / stimmte Parzival sehr traurig. / Was half ihm da sein tapfres Herz,

(5) die Männlichkeit, die Hoferziehung? / Und, was weiter für ihn spricht: / die Reinheit, Gipfel aller Tugend. / Die wahre Falschheit kennt er nicht, / denn die Reinheit lohnt mit Ruhm,

(10) sie ist zugleich die Seelenkrone. / Reinheit: hier erfüllt sich Höchstes.

Parzival departs in sorrow:

(331) Keinem wollte es gefallen, / daß er losritt, derart traurig—

(10) ich glaub, es tat dort allen leid. / Artus versprach ihm in die Hand: / gerate sein Land in Kriegsgefahr—/ wie zuvor durch Clamidé—/ so treffe ihn die Tat persönlich.

(15) Und: er bedaure, daß Llewelyn / ihm zwei Königreiche raubte. / Man erwies ihm Reverenzen. / Die Trauer wollte, daß er aufbrach.

[...]

Gawan gab ihm den Abschiedskuß; / dann sagte, der so tapfer war, / zu unserm Helden voller Mut:

(25) "Ich weiß genau, mein Freund, dein Weg / führt zu Kämpfen, unausweichlich—/ Gott beschenke dich mit Glück / und helfe mir, daß ich dir so / dienen kann, wie ich es will. /
204 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 

 
des müeze mich sîn craft gwern." 
332 Der Wâleis sprach "wê waz ist got? 332 
wær der gewaldec, sölhen spot 
het er uns bêden niht gegeben, 
kunde got mit creften leben. 
5 ich was im dienstes undertân, 5 
sît ich genâden mich versan. 
nu wil ich im dienst widersagen: 
hât er haz, den wil ich tragen. 
[...] 
460 "alrêrst ich innen worden bin 460 
wie lange ich var wîselôs 
30 unt daz vröuden helfe mich verkôs," 30 
461 sprach Parzivâl, "mirst vröude ein troum: 461 
ich trage der riuwe swæren soum. 
hêrre, ich tuon iu mêr noch kunt. 
swâ kirchen oder münster stuont, 
5 dâ man gotes êre sprach, 5 
kein ouge mich dâ nie gesach 
sît den selben zîten: 
ichn suochte niht wan strîten. 
ouch trage ich hazzes vil gein gote: 
10 wand er ist mîner sorgen tote. 10 
die hât er alze hôhe erhaben: 
mîn vröude ist lebendec begraben. 
kunde gotes craft mit helfe sîn, 
waz ankers wær diu vröude mîn? 
15 diu sinket durch der riuwe grunt. 15 
ist mîn manlîch herze wunt, 
oder mag ez dâ vor wesen ganz, 
daz diu riuwe ir scharpfen cranz 
mir setzet ûf werdekeit 
20 die schildes ambet mir erstreit 20 
gein werlîchen handen, 
des gihe ich dem ze schanden, 
der aller helfe hât gewalt, 
ist sîn helfe helfe balt,
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 205
 
 

Dies gewähr mir Gottes Allmacht."
(332) Der Waliser: "Ach, was ist Gott?! / Wenn er so allmächtig wäre, Seine Macht auch offenbarte, / hätt Er uns die Schmach erspart.

(5) Seit ich von seiner Gnade weiß, / bin ich Ihm im Dienst ergeben—/ ich künde Ihm den Dienst nun auf! Haßt Er mich, so nehm ich’s hin!
 
 

From now on most of the action is concerned with Gawan, probably as a kind of secular counterpart to the adventures of Parzival. The two streams converge toward the end of the story. In his first adventure Gawan charmingly acts as the champion of a little maid, Obilot. The next encounter is quite different. At the castle of Champ Fançon, Gawan meets the sensuous Antikonie, sister to King Vergulaht, and loses no time in making love to her. He is gaining ground in his pursuit of love when the lady’s brother appears and attacks him. There is a ludicrous battle in which Gawan defends himself with a door bolt and chessboard until his opponent Kingrimorcel appears and stops the fighting. Gawan leaves to find the Grail.

Parzival has been mentioned occasionally in the preceding narrative. Now, however, he becomes the main figure. He meets Sigune again; she has been walled into a cell with the body of her lover, Schionatulander. She tells him a little more about the Grail and how it sends her food. She is no longer angry with Parzival, and hopes for his success in finding the Grail, although she herself doubts that he will. Parzival sets out on his quest and meets some pilgrims, who reproach him for riding armed on Good Friday—a fact of which he is unaware. Almost in despair, he throws the reins over his horse’s neck and more or less challenges God to lead him to the Grail (452:1-9).

Wolfram now interjects an ‘account’ as to his source of the Grail story: a wild tale of the heathen Flegetanis, later baptized, who told how angels left the Grail on earth and how the story was translated into Latin by ‘Kyot’ (452:29-455:22).

The story continues: Parzival meets Trevrizent, a hermit, whose cave is in the same place where he had defeated Orilus four and a half years ago, and tells the hermit at once that he needs help, for he has sinned.
 

(460) "Jetzt erst wird mir völlig klar, / wie lange ich schon richtungslos / umherzieh, ganz vom Glück verlassen.

(461) Das Glück ist nur ein Traum für mich, / ich trag die schwere Last des Leids. / Herr, ich sage Euch noch mehr: / in allen Kirchen oder Münstern,

(5) in denen Gott gepriesen wurde, / hat mich in der ganzen Zeit / keiner jemals angetroffen. / Ich wollte nur das eine: Kampf. / Auch heg ich großen Haß auf Gott:

(10) Er ist der Pate meines Leids, / Er hob es allzu hoch empor. / Mein Glück ist lebend eingegraben. / Würde Gottes Macht mir helfen, / welch ein Anker wär mein Glück!

(15) Er sinkt in bodenlose Trauer ... / Mein starkes Herz ist mir verwundet—/ wie könnte es auch anders sein, / wenn das Leid die Dornenkrone / auf mein hohes Ansehen setzt,

(20) das ich im Ritterdienst erlangte / gegen kampferprobte Männer—/ und das werfe ich Ihm vor, / Der Hilfe stets gewähren kann, / Des Hilfe schnell im Helfen ist

206 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 

 
25 daz er mir denne hilfet niht, 25 
sô vil man im der hilfe giht." 
[...] 
468 Der wirt sprach "hêrre, ir sprechet wol. 468 
ir sît in rehter kumbers dol, 
sît ir nâch iuwer selbes wîbe 
sorgen pflihte gebt dem lîbe. 
5 wert ir ervunden an rehter ê, 5 
iu mac zer helle werden wê, 
diu nôt sol schiere ein ende hân, 
und wert von banden aldâ verlân 
mit der gotes helfe al sunder twâl. 
10 ir jeht, ir sent iuch umbe den grâl: 10 
ir tumber man, daz muoz ich clagen. 
jane mac den grâl nieman bejagen, 
wan der ze himel ist sô bekant 
daz er zem grâle sî benant. 
[...] 
469 er heizet lapsit exillîs. 469 
von des steines craft der fênîs 
verbrinnet, daz er ze aschen wirt: 
10 diu asche im aber leben birt. 10 
sus rêrt der fênîs mûze sîn 
unt gît dar nâch vil liehten schîn, 
daz er schœne wirt als ê. 
ouch wart nie menschen sô wê, 
15 swelhes tages ez den stein gesiht, 15 
die wochen mac ez sterben niht, 
diu aller schierest dar nâch gestêt. 
sîn varwe im nimmer ouch zergêt: 
man muoz im sölher varwe jehen, 
20 dâ mit ez hât den stein gesehen, 20 
ez sî maget oder man, 
als dô sîn bestiu zît huop an, 
sæh ez den stein zwei hundert jâr, 
im enwurde denne grâ sîn hâr.
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 207
 
 

(25) und Der mir doch nicht helfen will, / obwohl man Seine Hilfe rühmt."22

The hermit does not reply directly to Parzival’s complaint but tells him the story of the fall of Lucifer and of man, so that he may realize that he shares the common fate of the human race and that only God in His wisdom and mercy can solve his problem. Parzival then tells him that his greatest concerns are for the Grail and for his wife. The hermit is perturbed by this, for he knows that only the chosen can attain the Grail, and Parzival does not relate his previous visit to "Munsalvaesche," Mount Salvage—rendered as «mons silvaticus»,that is forested mountain by some—, the Grail castle. He says:

(468) "Herr, das war sehr gut gesagt. / Ihr leidet hier mit Recht an Sehnsucht, / ist es doch die eigne Frau, / um die Ihr Euch in Sorge quält.

(5) Führt Ihr eine gute Ehe / und leidet später in der Hölle, / so sind die Qualen rasch beendet, / die Fesseln werden Euch gelöst / durch Gottes Hilfe, und das bald.

(10) Ihr sagt, Ihr sehnt Euch nach dem Gral—/ oh Unverstand! Ihr tut mir leid! / Denn niemand kann den Gral erreichen, / den nicht der Himmel ausersehen, / und daraufhin zum Gral beruft."

The hermit then reveals a great deal more about the Grail than Parzival has learned up till now. He tells of the knights who live at the castle, whom he calls Templars;23 they are sustained by the power of the Grail stone, which also has the power to rejuvenate men and which causes the phoenix to rise from its own ashes.

(469) "«Lapis exilis» ist sein Name.24/ Die Wunderkraft des Steins verbrennt / den Phönix, macht ihn ganz zu Asche; / die Asche gibt ihm neues Leben.

(10) Und so mausert sich der Phönix, / erstrahlt danach in hellstem Glanz, / ist nun wieder schön wie früher. / Weiter: einem Menschen kann es / noch so schlecht ergehen—

(15) sieht er / an einem Tage diesen Stein, / so stirbt er nicht die Woche drauf, / ja, er verliert noch nicht mal Farbe.

(20) Und schaut man zwei Jahrhunderte / (ob junge Frau, ob junger Mann) / den Stein an, bleibt die Farbe so / (und das läßt sich nicht bestreiten) / wie zur Zeit der schönsten Blüte, / nur die Haare werden grau.

208 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 

 
25 selhe craft dem menschen gît der stein, 25 
daz im vleisch unde bein 
jugent enpfæhet al sunder twâl. 
der stein ist ouch genant der grâl. 
da ûf kumt hiute ein botschaft, 
dar an doch lît sîn hôhste craft. 
470 Ez ist hiute der karvrîtac, 470 
daz man vür wâr dâ warten mac, 
ein tûbe von himel swinget: 
ûf den stein diu bringet 
5 ein cleine wîze oblât. 5 
ûf dem steine si die lât: 
diu tûbe ist durchliuhtec blanc, 
ze himel tuot si widerwanc. 
immer alle karvrîtage 
10 bringet si ûf den, als ich iu sage, 10 
dâ von der stein enpfaehet 
swaz guotes ûf erden draehet 
von trinken unt von spîse, 
als den wunsch von pardîse: 
15 ich mein swaz diu erde mac gebern. 15 
der stein si vürbaz mêr sol wern 
swaz wildes underm lufte lebt, 
ez vliege oder louffe, unt daz swebt. 
der ritterlîchen bruoderschaft, 
die pfrüende in gît des grâles craft." 
[...] 
472 "Mac ritterschaft des lîbes prîs 472 
unt doch der sêle pardîs 
bejagen mit schilt und ouch mit sper, 
sô was ie ritterschaft mîn ger. 
5 ich streit ie swâ ich strîten vant, 5 
sô daz mîn werlîchiu hant 
sich næhert dem prîse. 
ist got an strîte wîse, 
der sol mich dar benennen, 
10 daz si mich dâ bekennen: 10 
mîn hant dâ strîtes niht verbirt." 
dô sprach aber sîn kiuscher wirt 
"ir müest aldâ vor hôchvart 
mit senftem willen sîn bewart. 
15 iuch verleit lîht iuwer jugent 15
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 209
 
 

(25) Solche Kraft verleiht der Stein / dem Menschen: daß sich Fleisch und Bein / von dem Moment an jung erhalten. / Der Stein wird auch Der Gral genannt. / Es senkt sich heute eine Botschaft / auf ihn herab, schenkt größte Fülle.

(470) Heute haben wir Karfreitag, / und so wird man sehen können, / wie vom Himmel eine Taube / schwebt: sie legt auf diesen Stein

(5) eine Oblate, weiß und klein, / die läßt sie auf dem Stein zurück; / die Taube—allerhellstes Weiß— / fliegt wieder in den Himmel hoch. / In jedem Jahre am Karfreitag25

(10) bringt sie zu dem Stein herab, / was ihn empfänglich werden läßt / für alles, was auf Erden duftet / an Speisen und Getränken: / paradiesische Erfüllung,

(15) alles, was auf Erden wächst. / Der Stein beschenkt sie ebenfalls / mit dem Fleisch von allen Tieren, / die da fliegen, laufen, schwimmen. / So wird die Kraft des Grals zur Pfründe / der ritterlichen Bruderschaft."
 
 

The men chosen to serve the Grail are named by the stone itself: their names will appear on it. The angels who took sides neither with God nor Lucifer were the original guardians of the Grail (471: 15-22; it is not known whether God forgave them or not), but now the chosen men guard it.26

(472) [Da sprach Parzival:] "Kann Ritterschaft den Erdenruhm / und auch das Seelenparadies / erkämpfen, mit dem Schild, der Lanze, / so wollt ich stets als Ritter leben!

(5) Ich kämpfte, wo sich Kampf ergab—/ so hat sich meine starke Faust / an den Ruhm herangekämpft. / Wenn Gott etwas von Kampf versteht, / so muß er mich dorthin berufen—

(10) sie werden mich da schätzen lernen! / Ich scheu vor keinem Kampf zurück." / Der fromme Gastgeber zu ihm: / "Eure Sanftmut wird Euch dort / vor Eurem Hochmut schützen müssen.

(15) Vielleicht reißt Euch die Jugend hin,

210 Wolfram von Eschenbach: Parzival
 

 
daz ir der kiusche bræchet tugent. 
hôchvart ie seic unde viel", 
sprach der wirt: ieweder ouge im wiel 
dô er an diz maere dâhte, 
20 daz er dâ mit rede volbrâhte. 20 
dô sprach er "hêrre, ein künec dâ was: 
der hiez und heizt noch Anfortas. 
daz sol iuch und mich armen 
immer mêr erbarmen 
25 umb sîn herzebære nôt, 25 
die hôchvart im ze lône bôt. 
sîn jugent unt sîn rîcheit 
der werlde an im vuogte leit, 
unt daz er gerte minne 
ûzerhalp der kiusche sinne. 
473 Der site ist niht dem grâle reht: 473 
dâ muoz der ritter unt der kneht 
bewart sîn vor lôsheit. 
diemüet ie hôchvart überstreit. 
5 dâ wont ein werdiu bruoderschaft: 5 
die hânt mit werlîcher craft 
erwert mit ir handen 
der diet von al den landen, 
daz der grâl ist unerkennet, 
10 wan die dar sint benennet 10 
ze Munsalwæsche an des grâles schar. 
wan einer kom unbenennet dar: 
der selbe was ein tumber man 
und vuorte ouch sünde mit im dan, 
15 daz er niht zem wirte sprach 15 
umbe den kumber den er an im sach. 
ich ensol niemen schelten: 
doch muoz es sünde engelten, 
daz er niht vrâgte des wirtes schaden. 
20 er was mit kumber sô geladen, 20 
ez enwart nie erkant sô hôher pîn." 
[...] 
475 dô sprach er "lieber swester sun, 475 
20 waz râtes möhte ich dir nu tuon? 20 
du hâst dîn eigen verch erslagen. 
wiltu vür got die schulde tragen, 
sît daz ir bêde wârt ein bluot, 
ob got dâ reht gerihte tuot,
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 211
 
 

die Selbstbeherrschung zu durchbrechen. / Man weiß: die Hoffart steigt—und stürzt." / So sprach der Wirt. Und seine Augen / wurden naß, denn ihm fiel ein,

(20) was er noch erzählen mußte. / "Herr, es war einmal ein König, / und der hieß—und heißt—Anfortas. / Ihr müßt Euch (und ich Armer auch) / dieses Mannes stets erbarmen:

(25) herzzerreißend ist die Not, / mit der die Hoffart ihn belohnte. / Mit seiner Jugend, seinem Reichtum / brachte er den Menschen Unglück, / und auch: daß er die Liebe wollte / außerhalb der Eheliebe—

(473) so was schickt sich nicht beim Gral; / dort dürfen Ritter, dürfen Knappen / nicht den Leidenschaften frönen. / Nur Demut überwindet Hoffart.

(5) Dort lebt die edle Bruderschaft; / sie hat die Männer vieler Länder / mit dem Einsatz ihrer Waffen / und mit Mut zurückgeschlagen, / so daß den Gral nur jene sehen,

(10) die zu dieser Grals-Gemeinschaft / des Mont Salvage berufen wurden. / Nur einer kam dorthin, der nicht / berufen war—ein Unbedarfter! / Der lud dort schwere Schuld auf sich,

(15) denn: er fragte nicht den Burgherrn / nach dem Leid, das er ihm ansah. / Ich mache niemand einen Vorwurf, / doch er wird für die Sünde büßen: / er fragte nicht nach seiner Krankheit!

(20) Der Burgherr hat so sehr gelitten, / solche Qualen gab’s noch nie!"
 
 

The hermit now asks Parzival directly about his identity and when he hears it, tells him that Ither was his relative; that his mother is dead, that he is also related to Sigune, that he himself is Anfortas’ brother, and that Repanse de Joie is his sister.

(475) Und weiter sprach er: "Lieber Neffe,

(20) wie könnt ich Dir jetzt raten, helfen? / Erschlugst dein eigen Fleisch und Blut! / Erscheinst du mit der Schuld vor Gott, / fällt Er den rechten Urteilsspruch,

212 Wolfram von Eschenbach: Parzival

 
25 sô giltet im dîn eigen leben. 25 
waz wiltu im dâ ze gelte geben, 
Ithêrn von Kaheviez?" 
[...] 
476 "ich enbinz niht der dâ triegen kan: 476 
25 dîner muoter daz ir triuwe erwarp, 25 
dô du von ir schiede, zehant si starp. 
du wære daz tier daz si dâ souc, 
unt der trache der von ir dâ vlouc. 
ez widervuor in slâfe ir gar, 
ê daz diu süeze dich gebar. 
477 Mîner geswistrede zwei noch sint. 477 
mîn swester Tschoysîâne ein kint 
gebar: der vrühte lac si tôt. 
der herzoge Kyôt 
5 von Katelange was ir man: 5 
dern wolde ouch sît niht vröude hân. 
Sigûne, des selben töhterlîn, 
bevalh man der muoter dîn. 
[...] 
ein magt, mîn swester, pfligt noch site 
sô daz ir volget kiusche mite 
15 Repanse de schoye pfligt 15 
des grâles, der sô swære wigt 
daz in diu valschlîch menscheit 
nimmer von der stat getreit. 
ir bruoder und mîn ist Anfortas, 
20 der bêdiu ist unde was 20 
von art des grâles hêrre. 
dem ist leider vröude verre: 
wan daz er hât gedingen. 
in sül sîn kumber bringen 
25 zem endelôsem gemache. 25 
mit wunderlîcher sache 
ist ez im komen an riuwen zil, 
als ich dir, neve, künden wil. 
pfligstu denne triuwe, 
so erbarmet dich sîn riuwe. 
[...] 
478 swelh grâles hêrre aber minne gert 478 
anders dan diu schrift in wert, 
15 der muoz es komen ze arbeit 15 
und in siufzebæriu herzeleit.
 
Wolfram von Eschenbach: Parzival 213
 
 

(25) so mußt du mit dem Leben büßen—/ denn ihr wart ja blutsverwandt! / Was willst du Ihm an Sühne leisten / für einen Ither von Gahevice?

[...]

(476) Ich bin der Lüge gar nicht fähig.

(25) Als du gingst, starb deine Mutter—/ das brachte ihr die Liebe ein! / Du warst das Tier, das an ihr sog, / der Drache, der da von ihr flog—/ das hatte sie im Schlaf erlebt, / bevor die Schöne dich gebar.

(477) Ich habe jetzt noch zwei Geschwister. / Joisiane, meine Schwester, / starb, als sie ein Kind gebar. / Deren Ehemann war Herzog

(5) Guiot von Katalonien—/ der sagte dann dem Glück ade. / Sigune, ihre kleine Tochter, / übergab man deiner Mutter.

[...]

Meine [andere] Schwester ist noch Jungfrau, / lebt zusammen mit der Keuschheit:

(15) Repanse de Joie ist Hüterin / des Grales. Und der wiegt so schwer, / daß ihn die Sünden-Menschheit nicht / von seiner Stelle rücken könnte. / Unser Bruder Anfortas,

(20) von Geburt aus Herr des Grals—/ das war er und das ist er noch. / Dem ist das Glück nun leider fern, / dem bleibt allein die Hoffnung übrig, / daß ihn all sein Leid zuletzt

(25) zur Seligkeit geleiten wird. / Durch ein befremdliches Geschehen / kam er zum dunklen, wunden Punkt—/ ich will es dir berichten, Neffe. / Wenn du dich treu verbunden fühlst, / so erbarme dich sein Schmerz."
 
 

He then speaks of Anfortas’ wound and the circumstances of his injury:

(478) "Liebt ein Gralsherr eine Frau, / die ihm nicht die Inschrift nannte,

(15) muß es zur Belastung kommen / und zu seufzerschwerem Leid.
 
 



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