438 Mystical Writers: Meister Eckhart

 

 

 

 

Meister Eckhart
(c.1260-1327)

 

 

 

I    Rede der unterscheidunge
    VI Von der abegescheidenheit und von habenne gotes

Ich wart gevrâget: etlîche liute zügen sich sêre von den liuten und wæren alles gerne aleine, und dar ane læge ir vride, und daz sie wæren in der kirchen, ob daz daz beste wære? Dô sprach ich: nein! und merke, war umbe! Wem reht ist, in der wârheit, dem ist in allen steten und bî allen liuten
5      reht. Wem aber unreht ist, dem ist unreht in allen steten und bî allen liuten. Wem aber reht ist, der hât got in der wârheit bî im. Wer aber got rehte in der wârheit hât, der hât in in allen steten und in der strâze und bî allen liuten als wol als in der kirchen oder in der einœde oder in der zellen; ob er in anders rehte hât und ob er in aleine hât, den menschen enmac nie-
10    man gehindern. War umbe?
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Meister Eckhart
(c.1260-1327)
 

    Meister Eckhart was born into the noble family of Hochheim. After entering the Dominican order and subsequently holding high office, he was soon to become the order’s first prominent preacher. He studied in Paris and began his scholarly life teaching theology at schools in Paris, Strasbourg, and Cologne. His sermons and treatises reveal him as a speculative thinker. Deeply influenced by the scholastic thought of St. Albert the Great (1193-1280), he probed for ways to attain to God: the cognitive process (III, l. 88: "bekennenne") is to open the way to the Divine and the mystical union («unio mystica») thus achieved with God is safeguarded through the act of love (III: l. 88: "minnenne"). We are to distance ourselves from everything that is connected with self-seeking desire (III, l. 80: "begern") and, instead, accept everything unquestioningly ("âne warumbe," III, 100) irrespective of any reward. Creation to Eckhart is the eternally repeating rebirth of God, thus the creatures are deified in a way by constantly recreating the Divine. There is a divine spark embedded in the soul («Fünklein Gottes») and the return to the divine source epitomizes the essence of mystical striving. Similar to Berthold von Regensburg, he, too dismissed the need of the faithful to rely on the Church as an intermediary in matters of faith. Also, in the fourth chapter of Die rede der unterscheidunge (Reden der Unterweisung) Eckhart anticipates Luther’s rejection of the merits of good works («Werkheiligkeit») when he states: "Swie heilic diu werck iemer sîn, sô enheiligent sie uns zemâle niht..." (‘Die Werke heiligen nicht uns, sondern wir sollen die Werke heiligen’; cf. I, l. 13 ). It was ideas such as these that led to his being accused of heresy by the Franciscans and even some of his confrères. His formal defense—in Latin—completely preoccupied him during the last two years of his life, but he died before he could successfully defend himself against the Church’s accusations. Subsequently, Pope John XXII refuted 28 theses of Meister Eckhart in the bull of 1329. Aside from his achievements as a mystical thinker and preacher, Eckhart laid the cornerstone of German philosophical ter-minology while wrestling with the difficulty of putting his mystical speculations into words.

    Among Eckhart’s principal German writings are Die rede der unterscheidunge which were intended as inspirational readings during meals at the monastery of Erfurt where Eckhart was prior and provincial of the order, the Büchlein der göttlichen Tröstung, and the sermons whose authenticity, however, is at best questionable considering the fact that they were handed down only in the form of copies made by members of his congregation.

 

I The following excerpts from the sixth chapter of Die rede der unterscheidunge, is entitled "Von der Abgeschiedenheit und vom Besitzen Gottes", illustrate the above-mentioned concept of the «unio mystica»:

Ich wurde gefragt: manche Leute zögen sich streng von den Menschen zurück und wären immerzu gern allein, und daran läge ihr Friede und (daran), daß sie in der Kirche wären, —ob dies das Beste wäre? Da sagte ich: nein! Und gib acht, warum. Mit wem es recht steht, wahrlich, dem ist’s an allen Stätten und unter den Leuten
(5) recht. Mit wem es aber unrecht steht, für den ist’s an allen Stätten und unter (den) Leuten unrecht. Wer aber recht daran ist, der hat Gott in Wahrheit bei sich; wer aber Gott recht in Wahrheit hat, der hat ihn an allen Stätten und auf der Straße und bei allen Leuten ebenso gut wie in der Kirche oder in der Einöde oder in der Zelle. Wenn anders er ihn recht und nur ihn hat, so kann einen solchen Menschen
(10) niemand behindern. Warum?

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Da hât er aleine got und meinet aleine got und werdent im alliu dinc lûter got. Dér mensche treget got in allen sînen werken und in allen steten, und alliu des menschen werk diu würket got lûterlîchen; wan wer daz werk sachet, des ist daz werk eigenlîcher und wærlîcher dan des, der dâ würket
15    daz werk.
[...]
Der mensche sol got nemen in allen dingen und sol sîn gemüete wenen, daz er alle zît got habe in gegenwerticheit in dem gemüete und in der meinunge und in der minne. Merke, wie dû dînen got meinest, sô dû bist in der kirchen oder in der zellen: daz selbe gemüete behalt und trac daz under die
20    menige und in die unruowe und in die unglîcheit. Und—als ich mêr gesprochen hân—als man saget von glîcheit, sô enmeinet man niht, daz man alliu werk glîch sül ahten oder alle stete oder alle liute. Daz wære gar unreht, wan ez ist ein bezzer werk beten wan spinnen und ein edelriu stat diu kirche dan diu strâze. Aber dû solt in den werken ein glîchez gemüete haben und
25    ein glîchez getriuwen und eine glîche minne ze dînem gote und einen glîchen ernst. Entriuwen, wære dir alsô glîch, sô enhinderte dich nieman dînes gegewertigen gotes.
Aber, wem alsô in der wârheit got niht innen enist, sunder alles got von ûz-
30    wendic muoz nemen in dem und in dem, und wenne er in unglîcher wîse got suochet, ez sî werk oder liute oder stete, sô enhât er got niht.
[...]
War ane liget nû diz wâre haben gotes, daz man in wærlîche habe? Diz wærliche haben gotes liget an dem gemüete und an einem inniclîchen vernünftigen zuokêrenne und meinenne gotes, niht an einem stæten anege-
35     denkenne in einer glîchen wîse, wan daz wære unmügelich der natûre in der meinunge ze habenne und sêre swære und ouch daz aller beste niht. Der mensche ensol niht haben noch im lâzen genüegen mit einem gedâhten gote, wan, swenne der gedank vergât, sô vergât ouch der got. Mêr: man sol haben einen gewesenden got, der verre ist obe den gedenken des men-
40    schen und aller crêatûre. Dér got envergât niht, der mensche enkêre denne williclîche abe.  
II   Von dem schawen gottes: Der kunig Davit sprach: "herr in deinem liecht süllen wir sehen das liecht."
[...]
Ich han etwan gesprochen, das der mensch hat in im ein liecht, das haist die wurckende vernunft: in diesem liecht soll der mensch got sehen in der
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Weil er einzig Gott hat und es nur auf Gott absieht, und alle Dinge werden ihm lauter Gott. Ein solcher Mensch trägt Gott in allen seinen Werken und an allen Stätten, und alle Werke dieses Menschen wirkt allein Gott; denn wer das Werk verursacht, dem gehört das Werk eigentlicher und wahrhaftiger zu als dem, der da
(15) das Werk verrichtet.
[...]
Der Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll sein Gemüt daran gewöhnen, Gott allzeit gegenwärtig zu haben im Gemüt und im Streben und in der Liebe. Achte darauf, wie du’s mit deinem Gott meinst!1 Wenn du in der Kirche bist oder in der Zelle: dieses selbe Gemüt behalte und trage es unter
(20) die Menge und in die Unruhe und in das Ungleichartige. Und—wie ich schon öfter gesagt habe— wenn man von ‘Gleichheit’ spricht, so meint man damit nicht, daß man alle Werke als gleich erachten solle oder alle Stätten oder alle Leute. Das wäre gar unrichtig; denn Beten ist ein besseres Werk als Spinnen und die Kirche eine würdigere Stätte als die Straße. Du sollst jedoch in den Werken ein gleichbleibendes Gemüt haben und
(25) ein gleichmäßiges Vertrauen und zu deinem Gott einen gleichbleibenden Ernst hegen. Fürwahr, wärest du so gleichmütig, so würde dich niemand hindern, deinen Gott gegenwärtig zu haben.
Wem aber Gott nicht so wahrhaft innewohnt, sondern wer Gott beständig
(30) von draußen her nehmen muß in diesem und in jenem, und wer Gott in ungleicher Weise sucht, sei’s in Werken oder unter den Leuten oder an Stätten, der hat Gott nicht.
[...]
Woran liegt nun dieses wahre Innehaben Gottes, daß man ihn wahrhaft besitze? Dieses wahrhafte Innehaben Gottes liegt am Gemüt und an einer innigen, geistigen Hinwendung und Strebung zu Gott, nicht (dagegen) an einem betändigen, gleichmäßigen Daran-
(35) denken; denn das wäre der Natur unmöglich zu erstreben und sehr schwer und zudem nicht das Allerbeste. Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Men-
(40) schen und alle Kreatur. Der Gott vergeht nicht, der Mensch wende sich denn mit Willen (von ihm) ab.

 

II The following excerpts from the treatise "Vom Schauen Gottes und von Seligkeit" reflect the spiritual kinship between Eckhart’s teachings and Luther’s religious consciousness and his concept of grace:

"Herr, in deinem Lichte werden wir das Licht erschauen!" spricht König David.
[...]
Ich habe bei früherer Gelegenheit ausgeführt, daß der Mensch in sich ein Licht besitzt, seine tätige Vernunft:2 die soll das Licht sein, mit welchem der Mensch im Erleben der

 

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seligkeit, als sie es beweisen wollen. Der mensch ist nach seiner geschaf-
5     fenheit gesatzt in grosse unvolkumenheit, das er naturlich enmag gott bekennen dann in der weise creature und bild und form, als ich es beweiset han vortzeiten. Nu enmag die sele von ir selber und von ir naturlichen kreft heruber nicht komen; es muss geschechen in einer ubernaturlichen craft als in dem liecht der gnaden. Nu mercket disen synn,
10    den ich nu sprechen will! Sant Paulus spricht: "der gnaden gottes bin ich das ich pin." Er spricht nicht, das er von genaden sey. Unterscheid ist: von genaden zu sein und gnaden selb zu sein. Die meister sprechen, das ein iglich form der materien gibt wesen. Nu ist mancherley rede unter den meistern, was genade sey. Ich sprich, das genade nicht anders ist denn ein
15    fliessendes liecht sunder mittel auss der naturen gottes in die sel, und ist ein ubernaturlich form der selen, das er ir gibt ein ubernaturlich wesen. Das ich nun meyne und gesprochen han, das die (sele) nicht von ir selber mag komen uber ir naturlich werk, das vermag sie in der kraft der genaden, die ir hat gegeben ein ubernaturlich wesen.
[...]
Wan die sele also stet in einem uberswang ir selbers, und in ein nicht ir sel-
20    bers geit und ir eigen werck, dan ist sie von gnaden; wan genad zu sein das ist, das die sele disen uberswang und diesen ubergang ir selbes volbracht habe und uberkomen sey und die sele allein ste in ir puren ledigkeit und anders nicht enwiss, den sich zu geben nach der weiss gottes.
[...]
Ditz ist das obrist werck der gnaden, das sie die sele bringet in das sie selb
25    ist. Die gnade beraubet die sele ir eygen werck, die gnade beraubet die sell ires eygen wesens. In disen uberswangk uberget die sell naturlich liecht, das creature ist, wan sye got beruret sunder alle mittel. Ich begere das ir mich nu wol verstet! Ich will sprechen von einem synne, den ich nyemer gesprach. Der werde Dionisius spricht: "als gott nit enist dem geist, also enist
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Seligkeit Gott schaue; was sie folgendermaßen beweisen wollen: Als das geschaf-
(5) fene Wesen, das er nun einmal ist, befindet sich der Mensch in einem Zustande großer Unvollkommenheit, so daß er von Natur Gott nicht anders zu erkennen vermag als in der Weise des Geschöpfes (nämlich mittels Bilder und Formen, wie ich das vorzeiten dargetan habe); von sich aus nun und bloß mit jenem natürlichen Vermögen vermag die Seele hierüber nicht hinauszukommen: das muß vielmehr geschehen in einem übernatürlichen Vermögen, eben im Licht der Glorie.3 Hiergegen haltet die Auffassung,
(10) die ich nun vortragen will! Sankt Paulus sagt einmal: "Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin!" (Daß er "durch Gnade" sei, sagt er nur; nicht daß ‘die Gnade’ sei; es ist das zweierlei!) Es ist nun ein ausgemachter Satz: immer die Form gibt der Materie ihr Wesen. Was Gnade sei, darüber stellen die Meister4 mancherlei Bestimmungen auf; ich sage, sie ist noch etwas Anderes als bloß ‘ein
(15) Licht,5 das aus Gottes Natur unmittelbar in die Seele strömt’: sie ist eine übernatürliche Form für die Seele, vermöge der er ihr ein übernatürliches Wesen gibt. Wenngleich nun auch ich der Ansicht bin und sie ausgesprochen habe, daß die Seele von sich aus über ihr natürliches Wirken nicht hinaus zu gelangen vermag, so vermag sie es doch kraft der Gnade, die ihr ein übernatürliches Wesen verliehen hat.
[...]
Wenn so die Seele noch im Begriffe steht, den Schwung6 über sich selbst hinaus zu vollziehen und einzugehen in ein Nichts ihrer
(20) selbst und ihres Eigenwirkens, dann ist sie "durch Gnade." Dagegen, selber ‘die Gnade’ sein, das bedeutet, daß die Seele diese Selbstüberholung und Selbstüberwindung auch wirklich vollbracht habe und hinübergekommen sei: daß sie allein noch stehe in ihrer puren Bestimmungslosigkeit und einzig nur sich selber wisse—wie Gott!
[...]
Der Gnade höchste Leistung ist, daß sie die Seele in das bringt, was sie selber
(25) ist! Die Gnade beraubt die Seele des eigenen Wirkens, und sie beraubt sie auch des eigenen Wesens! In dieser Selbstüberholung erhebt sich die Seele über das ‘natürliche Licht’, das nur dem Geschöpfe zukommt, und tritt mit Gott in unmittelbare Berührung. Es liegt mir daran, daß ihr mich nun wohl verstehet; ich will einen Gedanken behandeln, über den ich noch nie gesprochen habe.—Der werte Dionysius7 äußert einmal: "Sobald Gott für den Geist nicht mehr ist, sobald ist

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30    im auch das ewig pild nicht, das sein ewig ursprung ist. Ich han gesprochen und sprich es noch: gott hat ewigklich geworcht ein werck; in disem werck hat er die sele gewörcht sich selber, auss disem werck und uber nutz dicz werck ist die sele geflossen in ein geschaffen wesen, und ist got ungeleich worden und fremd irem eygen pilde, und in irem geschaf-
35    fenheit hat got gemacht, das er nicht enwas ee den die sell geschaffen würde. Ich han gesprochen unter wilen: das got got ist, des bin ich ein sach. Gott hat sich von der sell, sein gotheit von im selber; wan ee die creature wurd, da enwas got nicht got, aber er was wol gotheit, und das enhat er von der sele nicht. Wan gott vindet ein vernichtet sele, die zu nichte
40    worden ist uber mittels die (der?) gnade ir selber (und?) ir eygen werck, so wurckt got oben gnaden in der sele sein ewig werck und erhebt die sele auss irem geschaffen wesen. Alhie vernicht sich gott in der sele, und den so beleibt nymer noch got noch sele. Das seit gewiss, dass ditz gottes eygen ist. Ist das sach, das die sele gottes werck enpfahen mag, so
45    wirt sie dar jn geseczt, das sie nymer enhat keinen gott; da ist die sele das ewig pild, da got sie ewigklich hat angesehen sein ewig wort. Das spricht sant Dionysius, das got nicht mer enist dem geist, das ist also als ich nu gesprochen han.
[...]
Sant Dionysius spricht: "Gott sey nicht." Das mag man also verstan, das
50 Sant Augustin spricht: "Gott sey alle ding, das ist: an gott ist nicht." Das sant Dionysius spricht: "Gott enist nicht," das ist das kein ding bei in selber sind. Herumb so muss der geist ubertreten ding und dinglikeit, forme und formlikeit und wesen und wesenlicheit, den wirt in im geoffenwart das werck der selikeit, das da wesenlich besiczet die wurcklich vernunft.

 

 

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(30) für ihn auch das ewige Urbild8  nicht mehr, das sein ewiger Ursprung ist." Ich habe behauptet und behaupte es noch: Gott hat in Ewigkeit nur ein Werk verrichtet. In diesem Werke hat er—für sich selber—auch die Seele gesetzt. Zum Überfluß jedoch ist die Seele aus dieser ewigen Setzung herausgetreten in ein Geschöpfeswesen und ist so Gott unähnlich geworden und ihrem eigenen Bilde fremd.9 Und doch hat sie erst mit ihrem Geschöpf-Sein
(35) ‘Gott’ gemacht, so daß es den nicht eher gab, als bis die Seele zu etwas Erschaffenem wurde. Ich habe vor einiger Zeit geäußert: "Daß Gott ‘Gott’ ist, dessen bin ich eine Ursache!" Gott hat sich von der Seele: daß er Gottheit ist, hat er von sich selber. Denn ehe die Kreaturen da waren, war auch Gott nicht Gott; wohl aber war er Gottheit, denn das hat er nicht von der Seele. Findet nun Gott eine vernichtete Seele—eine die (vermöge der Gnade) ein Nichts
(40) geworden ist an Selbstheit und Eigenwirken, so wirkt Gott (jenseits aller Gnade) in ihr sein ewiges Werk und hebt sie damit aus ihrem Geschöpfesdasein heraus. Damit aber vernichtet Gott sich selber in der Seele, und so bleibt denn nicht länger weder ‘Gott’ noch ‘Seele.’ Seid überzeugt, dies ist Gottes Eigenstes! Hat die Seele den Stand erreicht, wo sie fähig geworden ist, das Wirken Gottes zu erleiden, so wird sie
(45) auch dazu eingesetzt, keinen Gott mehr zu haben! Da ist sie wieder: das ewige Urbild, in welchem Gott sie ewiglich erschaut hat, da ist sie wieder: ein ewiges Wort.—Wenn also Dionysius sagt: "Gott ist nicht mehr für den Geist," so ist damit das gemeint, was ich eben ausgeführt habe.
[...]
Gott sei Nichts, sagte, Dionysius. Darunter kann man dasselbe verstehn, was Augustinus so ausdrückt: "Gott sei Alles." Das bedeutet: an ihm gibt es nichts!
(50) Und wenn Dionysius sagt: "Gott ist Nichts," so besagt das: irgend welche ‘Dinge’ gibt es bei ihm nicht!—Deshalb muß der Geist hinausschreiten über die Dinge und alle Dinglichkeit, über die Gestaltungen und alle Gestaltigkeit, selbst über das Wesen in seiner Wesensgeartetheit: dann wird in ihm aufgehen die volle Wirklichkeit der Seligkeit—die als Wesensbesitz nur zukommt der Schaffenden Vernunft !
 
 
 
 
 
 

446 Mystical Writers: Meister Eckhart

 

III Iusti vivent in aeternum

"Die gerehten suln leben êwiclîche, und ir lôn ist bî gote." Nû merket disen sin gar eben; aleine er grop lûte und gemeine, sô ist er doch gar merklich und gar guot.
"Die gerehten suln leben." Welhez sint die gerehten? Ein geschrift sprichet:
5      "der ist gereht, der einem ieglîchen gibet, daz sîn ist." Die gote gebent, daz sîn ist, und den heiligen und den engeln, daz ir ist, und dem ebenmenschen, daz sîn ist.
Gotes ist diu êre. Wer sint, die got êrent? Die ir selbes alzemâle sint ûzgegangen und des irn alzemâle niht ensuochent an keinen dingen, swaz
10    ez joch sî, noch grôz noch klein, die niht ensehent under sich noch über sich noch neben sich noch an sich, die niht enmeinent noch guot noch êre noch gemach noch lust noch nuz noch innicheit noch heilicheit noch lôn noch himelrîche und dis alles sint ûzgegangen, alles des irn, dirre liute hât got êre, und die êrent got eigenlîche und gebent im, daz sîn ist.
15    Man sol geben den engeln und den heiligen vröude. Eyâ, wunder über alliu wunder! Mac ein mensche in disem lebene vröude geben den, die in dem êwigen lebene sint? Jâ wærlîche! ein ieglich heilige hât sô grôzen lust und sô unsprecheliche vröude, von einem ieglîchen guoten werke, von einem guoten willen oder einer begerunge hânt sie sô grôze vröude, daz
20    ez kein munt ûzsprechen kan, noch kein herze kan ez erdenken, wie grôze vröude sie dâ von hânt. War umbe ist daz? Dâ minnent sie got als unmæzlîche sêre und hânt in sô rehte liep, daz sîn êre in lieber ist dan ir sælicheit. Niht aleine die heiligen noch die engel, mêr: got selber hât sô grôzen lust dar abe, rehte als ob ez sîn sælicheit sî, und sîn wesen swebet
25    dar an und sîn genüegede und sîn wollust. Eyâ, nû merket! Enwellen wir gote niht dienen umbe kein ander sache wan umbe die grôzen vröude, die sie dar an hânt, die in dem êwigen lebene sint, und got selber, wir möhten ez gerne tuon und mit allem vlîze.
Man sol ouch den geben, die in dem vegeviure sint, hilfe und bezzerunge
30    und [] den, die noch lebent.
Dirre mensche ist gereht in einer wîse, und in einem andern sinne sô sint die gereht, die alliu dinc glîch enpfâhent von gote, swaz ez joch sî, ez sî grôz oder klein, liep oder leit, und al glîch, noch minner noch mêr, einz als daz ander. Wigest dû
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III A large segment of Eckhart’s German writings is in the form of sermons. The following sermon, entitled "Iusti vivent in aeternum" ("The just live forever"), which comments on 5: 16 of the Book of Wisdom, is one of Meister Eckhart’s more controversial sermons. In fact, he was accused of heresy for allegedly preaching man’s equality with God when he really only desired to describe how to best prepare man for his rebirth in God. He stipulates three criteria which must be met: "uzgân" (‘surrender of one’s will’), "niht mêr begêrn" (‘proper understanding and direction of desire), and "gôtes wesen ist mîn leben" (‘God is my life’)—the proper interpretation and the meaning of the question of life.

"Die Gerechten werden leben ewiglich, und ihr Lohn ist bei Gott." Nun merkt genau auf den Sinn dieses Wortes; mag er auch schlicht und allgemeinverständlich klingen, so ist er doch sehr beachtenswert und durchaus gut.
"Die Gerechten werden leben." Welches sind die Gerechten? Eine Schrift sagt:
(5) "Der ist gerecht, der einem jeden gibt, was sein ist," und den Heiligen und den Engeln, was ihrer ist, und dem Mitmenschen, was sein ist.
Gottes ist die Ehre. Wer sind die, die Gott ehren? Die aus sich selbst gänzlich ausgegangen sind und das Ihrige ganz und gar nicht suchen in irgendwelchen Dingen, was immer es
(10) sei, weder Großes noch Kleines; die auf nichts unter sich noch über sich noch neben sich noch an sich sehen; die nicht nach Gut noch Ehre noch Gemach noch Lust10 noch Nutzen noch Innigkeit noch Heiligkeit noch Lohn noch Himmelreich trachten und sich alles dieses entäußert haben, alles Ihrigen,—von diesen Leuten hat Gott Ehre, und die ehren Gott im eigentlichen Sinne und geben ihm, was sein ist.
(15) Den Engeln und den Heiligen soll man Freude geben. O Wunder über alle Wunder! Kann ein Mensch in diesem Leben Freude geben denen, die in dem ewigen Leben sind? Ja, wahrhaftig! Jeglicher Heilige hat so große Lust und so unaussprechliche Freude durch jegliches gute Werk,—durch ein gutes Wollen oder ein Begehren haben sie so große Freude, daß
(20) kein Mund es auszusprechen und kein Herz auszudenken vermag, wie große Freude sie dadurch haben. Warum ist dem so? Weil sie Gott so ganz über alle Maßen lieben und ihn so recht lieb haben, daß seine Ehre ihnen lieber ist als ihre Seligkeit. Und nicht nur die Heiligen und die Engel, vielmehr Gott selbst hat so große Lust daran, recht als sei es seine Seligkeit, und sein Sein hängt
(25) daran und sein Genügen und sein Wohlbehagen. Wohlan, nun merkt auf! Wollten wir Gott aus keinem andern Grunde dienen als um der großen Freude willen, welche die daran haben, die im ewigen Leben sind, und Gott selbst, wir könnten es gern tun und mit allem Fleiß.
Man soll auch denen Hilfe geben, die im Fegefeuer sind, und Förderung
(30) (und gutes Beispiel) denen, die noch leben.
Ein solcher Mensch ist gerecht in einer Weise, aber in einem andern Sinne sind die gerecht, die alle Dinge von Gott als gleich hinnehmen, was immer es sei, groß oder klein, lieb oder leid, und zwar ganz gleich, ohne Weniger oder Mehr, das eine wie das andere. Schlägst du

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daz ein iht mêr dan daz ander, sô ist im unreht. Dû solt dînes eigenen willen
35    alzemâle ûzgân.
Ich gedâhte niuwelîche umbe ein dinc: enwölte got niht als ich, sô wölte ich doch als er. Sumlîche liute wellent irn eigenen willen hân an allen dingen; daz ist bœse, dar în vellet gebreste. Die andern sint ein wênic bezzer, die wellent wol, waz got wil, wider sînen willen enwellent sie niht; wæren sie
40    siech, so wölten sie wol, daz ez gotes wille wære, daz sie gesunt wæren. Alsô wölten die liute, daz got nâch irm willen wölte, lieber dan daz sie nâch sînem willen wölten. Man muoz ez vertragen, im ist aber unreht. Die gerehten enhânt zemâle keinen willen; waz got wil, daz ist in allez glîch, swie grôz daz ungemach sî.
45    Den gerehten menschen den ist alsô ernst ze der gerechticheit, wære, daz got niht gereht wære, sie enahteten eine bône niht ûf got und stânt alsô vaste in der gerehticheit und sint ir selbes alsô gar ûzgegangen, daz sie niht enahtent pîne der helle noch vröude des himelrîches noch keines dinges. Jâ, wære alliu diu pîne, die die hânt, die in der helle sint, menschen oder vîende, oder alliu diu pîne, diu in ertrîche ie geliten wart oder iemer sol wer-
50    den geliten, wære diu gesast bî der gerehticheit, sie enahteten sîn niht einen bast; sô vaste stânt sie an gote und an der gerehticheit. Dem gerehten menschen enist niht pînlîcher noch swærer, dan daz der gerehticheit wider ist, daz er in allen dingen niht glîch ist. Als wie? Mac sie ein dinc vröuwen und ein anderz betrüeben, sô ensint sie niht gereht, mêr: sint sie ze einer zît
55    vrô, sô sint sie ze allen zîten vrô; sint sie ze einer zît mêr vrô und ze der andern minner, sô ist in unreht. Swer die gerehticheit minnet, der stât sô vaste dar ûf, swaz er minnet. daz ist sîn wesen; den enmac kein dinc abeziehen, noch keines dinges enahtet er anders. Sant Augustînus sprichet: "dâ diu sêle minnet, dâ is sie eigenlîcher, dan dâ sie leben gibet."
[...]
60    "Die gerehten suln leben." Ez enist kein dinc sô liep noch sô begirlich als leben under allen dingen. Sô enist kein leben sô bœse noch sô swærlich, ein mensche enwelle dennoch leben.
[...]
War umbe lebest dû? Umbe leben, und enweist dennoch niht, war umbe dû lebest. Sô begirlich ist daz leben in im selber, daz man ez umbe sich selber
65    begert. Die in der helle sint in êwiger pîne, die enwölten niht ir leben verliesen, noch vîende noch sêlen, wan ir leben ist sô edel, daz ez sunder allez mitel vliuzet von gote in die sêle. Dar umbe wan ez von gote alsô vliuzet sunder mitel, dar umbe wellent sie leben.
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das eine irgendwie höher an11 als das andere, so ist es verkehrt. Du sollst dich deines
(35) eigenen Willens entäußern.
Mir kam neulich der Gedanke: Wollte Gott nicht wie ich, so wollte ich doch wie er. Manche Leute wollen in allen Dingen ihren eignen Willen haben; das ist böse, es steckt ein Makel12 darin. Die anderen sind ein wenig besser: die wollen wohl, was Gott will, und gegen seinen Willen wollen sie nichts; wären sie aber
(40) krank, so wollten sie wohl, es möchte Gottes Wille sein, daß sie gesund wären. So wollten also diese Leute lieber, daß Gott nach ihrem Willen wollte, als daß sie nach seinem Willen wollten. Man muß es hingehen lassen, es ist aber das Rechte nicht. Die Gerechten haben überhaupt keinen Willen; was Gott will, das gilt ihnen alles gleich, wie groß das Ungemach13 auch sei.
(45) Den gerechten Menschen ist es so ernst mit der Gerechtigkeit, daß, wenn Gott nicht gerecht wäre, sie nicht die Bohne auf Gott achten würden;14 und sie stehen so fest in der Gerechtigkeit und haben sich so gänzlich ihrer selbst entäußert, daß sie weder die Pein der Hölle noch die Freude des Himmelreiches noch irgend etwas beachten. Ja, wäre alle Pein, die jene haben, die in der Hölle sind, Menschen oder Teufel, oder alle Pein, die je auf Erden erlitten wurde oder wird erlitten wer-
(45) den, wäre die mit der Gerechtigkeit verknüpft, sie würden es nicht im mindesten beachten; so fest stehen sie zu Gott und zur Gerechtigkeit. Nichts ist dem gerechten Menschen peinvoller und schwerer, als was der Gerechtigkeit zuwider ist: daß er nicht in allen Dingen gleich(mütig)15 ist. Wie das? Kann ein Ding die Menschen erfeuen und ein anderes sie betrüben, so sind sie nicht gerecht; vielmehr, wenn sie zu einer Zeit
(50) froh sind, so sind sie zu allen Zeiten froh; sind sie zu einer Zeit mehr und zur anderen weniger froh, so sind sie unrecht daran. Wer die Gerechtigkeit liebt, der steht so fest darauf, daß, was er liebt, sein Sein ist; kein Ding vermag ihn davon abzuziehen, und auf nichts sonst achtet er. Sankt Augustinus spricht: "Wo die Seele liebt, da ist sie eigentlicher als da, wo sie Leben gibt." [...]
(60) "Die Gerechten werden leben." Nichts ist so lieb und so begehrenswert unter allen Dingen wie das Leben. Und wiederum ist kein Leben so schlimm noch so beschwerlich, daß der Mensch nicht dennoch leben wolle. [...]
Warum lebst du? Um des Lebens willen, und du weißt dennoch nicht, warum du lebst. So begehrenswert ist das Leben in sich selbst, daß man es um seiner selbst willen
(65) begehrt. Die in der Hölle sind, in ewiger Pein, selbst die wollten ihr Leben nicht verlieren, weder die Teufel noch die Seelen, denn ihr Leben ist so edel, daß es unvermittelt von Gott in die Seele fließt. Weil es so unmittelbar von Gott fließt, darum wollen sie leben.

450 Mystical Writers: Meister Eckhart

 

Waz ist leben? Gotes wesen ist mîn leben. Ist mîn leben gotes wesen, sô muoz daz gotes sîn und
70      gotes isticheit mîn isticheit, noch minner noch mêr.
[...]
Dô got den menschen machete, dô machete er die vrouwen von des mannes sîten, dar umbe daz si im glîch wære. Er machete sie niht von dem houbte noch von den vüezen, daz si im wære weder vrouwe noch man, sunder daz si glîch wære. Alsô sol diu gerehte sêle glîch bî gote sîn und bî neben gote,
75      ehte glîch, noch unden noch oben.
[...]
Die sêlen, die alsô glîch sint, den gibet der vater glîch und entheltet in nihtes niht vor. Swaz der vater geleisten mac, daz gibet er dirre sêle glîch, jâ ob si glîch stât ir selber niht mêr dan einem andern, und si sol ir selber niht næher sîn dan einem andern. Ir eigen êre, ir nuz und swaz ir ist, des ensol si niht
80      mêr begern noch ahten dan eines vremden.
[...]
Ich sprach einest alhie und ist ouch wâr: waz der mensche ûzer im ziuhet oder nimet, dem ist unreht. Man ensol got niht nemen noch ahten ûzer im sunder als mîn eigen und daz in im ist; noch man ensol dienen noch würken umbe kein warumbe, noch umbe got noch umbe sîn êre noch umbe nihtes
85      niht, daz ûzer im sî, wan aleine umbe daz, daz sîn eigen wesen und sîn eigen leben ist in im. Sumlîche einveltige liute wænent, sie süln got sehen, als er dâ stande und sie hie. Des enist niht. Got und ich wir sint ein. Mit bekennenne nime ich got in mich, mit minnenne gân ich in got. Etlîche sprechent, daz sælicheit niht lige an bekantnisse sunder aleine an willen. Die
90      hânt unreht; wan læge ez aleine an willen, sô enwære ez niht ein. Daz würken und daz werden ist ein. Sô der zimmerman niht enwürket, sô enwirt ouch daz hûs niht. Dâ diu barte liget, dâ liget ouch daz gewerden. Got und ich wir sint ein in disem gewürke; er würket, und ich gewirde. Daz viur verwandelt in sich, swaz im zuogevüeget wird und wirt sîn natûre. Daz holz
95      daz verwandelt daz viur in sich niht, mêr: daz viur verwandelt daz holz in sich. Alsô werden wir in got verwandelt, daz wir in bekennen suln, als er ist. Sant Paulus sprichet: "alsô suln wir bekennende sîn, rehte ich in als er mich, noch minner noch mêr, glîch blôz." ‘Die gerehten suln leben êwiclîche, und ir lôn ist bî gote’ alsô glîch .
100    Daz wir die gerehticheit minnen durch sich selben und got âne warumbe, des helfe uns got. Amen.

 

 

Mystical Writers: Meister Eckhart 451

 

Was ist Leben? Gottes Sein ist mein Leben. Ist denn mein Leben Gottes Sein, so muß Gottes Sein mein sein und 
(70) Gottes Wesenheit 16 meine Wesenheit, nicht weniger und nicht mehr.
[...]
Als Gott den Menschen schuf, da schuf er die Frau aus des Mannes Seite, auf daß sie ihm gleich wäre. Er schuf sie weder aus dem Haupte noch aus den Füßen, auf daß sie weder unter noch über ihm wäre, sondern daß sie gleich wäre. So auch soll die gerechte Seele gleich bei Gott sein und neben Gott,
(75) ganz gleich, weder darunter noch darüber.
Wer sind die, die in solcher Weise gleich sind? Die nichts gleich sind, die allein sind Gott gleich. Göttliches Wesen ist nichts gleich; in ihm gibt es weder Bild noch Form. Die Seelen, die in solcher Weise gleich sind, denen gibt der Vater gleich und enthält ihnen nichts vor. Was der Vater zu leisten vermag, das gibt er einer solchen Seele in gleicher Weise, fürwahr, wenn sie sich selbst nicht mehr gleicht als einem andern, und sie soll sich selbst nicht näher sein als einem andern. Ihre eigene Ehre, ihren Nutzen und was immer das Ihre ist, das soll sie
(80) nicht mehr begehren noch beachten als das eines Fremden.[...]
Ich sagte einst eben hier, und es ist auch wahr: Wenn der Mensch etwas von außerhalb seiner selbst bezieht oder nimmt, so ist das nicht recht. Man soll Gott nicht als außerhalb von einem selbst erfassen und ansehen, sondern als mein Eigen und als das, was in einem ist; zudem soll man nicht dienen noch wirken um irgendein Warum, weder um Gott noch um die eigene Ehre noch um irgend
(85) etwas, was außerhalb von einem ist, sondern einzig um dessen willen, was das eigene Sein und das eigene Leben in einem ist. Manche einfältigen Leute wähnen, sie sollten Gott (so) sehen, als stünde er dort und sie hier. Dem ist nicht so. Gott und ich, wir sind eins. Durch das Erkennen17 nehme ich Gott in mich hinein; durch die Liebe hingegen gehe ich in Gott ein. Manche sagen, die Seligkeit liege nicht im Erkennen, sondern allein im Willen.
(90) Die haben unrecht; denn läge sie allein im Willen, so handelte es sich nicht um Eines. Das Wirken und das Werden aber ist eins. Wenn der Zimmermann nicht wirkt, wird auch das Haus nicht. Wo die Axt ruht, ruht auch das Werden. Gott und ich, wir sind eins in solchem Wirken; er wirkt, und ich werde. Das Feuer verwandelt in sich, was ihm zugeführt wird, und dies wird zu seiner Natur. Nicht das Holz
(95) verwandelt das Feuer in sich, vielmehr verwandelt das Feuer das Holz in sich. So werden auch wir in Gott verwandelt, so daß wir ihn erkennen werden, wie er ist (1 Joh. 3: 2). Sankt Paulus sagt: "So werden wir erkennen: recht ich ihn, wie er mich, nicht weniger und nicht mehr, schlechthin gleich" (1 Kor. 13: 12). ‘Die Gerechten werden ewiglich leben, und ihr Lohn ist bei Gott’—ganz so gleich .
(100) Daß wir Gerechtigkeit um ihrer selbst willen und Gott ohne Warum lieben, dazu helfe uns Gott. Amen