Oswald von Wolkenstein 473
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Oswald von Wolkenstein
(c.1377-1445)
    With Oswald von Wolkenstein the long list of poet-knights comes to an end. He may well be considered the most important German lyrical poet between Walther von der Vogelweide and Goethe. Born as the second son of a South Tyrolean nobleman in Val Pusteria between 1376 and 1378, he decides to seek knightly training abroad, partly out of a spirit of adventure and partly out of necessity. As he sets out, he receives "drei pfenning in dem peutel und ain stücklin brot," symbolic going-away gifts, the former as an assurance against rainy days, and the latter to still any yearning for his homeland. As well documented as Oswald’s later life is, the first twenty-four years of his life can only be gleaned from his poetry, together with all the pitfalls of poetic autobiography. Little else is known about his early years, except what he tells us in the poem "Es fuegt sich" (I)

    His poetry is distinguished by a new, more realistic—often coarse and bawdy—but still highly subjective approach. He continues to rely on earlier courtly images and and «topoi» and dwells mainly on three major themes: adventure, love, and religion. What might still be classified as "fictional naturalism" in Neidhart von Reuental (Wehrli), now becomes a personal record of events and people in an almost portrait-like fashion that is often obscure and rather specific in its erotic details. F. Banta (JEGP 66) best sums up Oswald’s position when he states that he "loved life and loved women" (75), that he approached life "through the senses," hardly through the intellect, in a language that could be devout or delicate, boisterous or bawdy (59). However, one can not take offense at language that reflects the mores of the age. The scores for many of his poems have been preserved in the two major manuscripts, one of which, manuscript B (the so-called Innsbrucker Wolkenstein-Handschrift B), also contains an individualized portrait of the poet who had lost his right eye while still a youth—a first in the history of German literature.1

    In reading the catalogue of places Oswald claims to have visited2, one can easily become rather sceptical. However, it was quite common for a young man during Oswald’s time to travel far and wide. Between 1409 and 1410, he went on a pilgrimage to the Holy Land. His motif is not entirely clear. Some contemporaries treated such pilgrimages as a form of retreat, some others merely to be dubbed knights of the Holy Sepulchre, some to escape boredom, political strife, or economic difficulties. Oswald’s poem "Var, heng und lass" adds another motif: in this poem, a lover sets out for the Holy Land to prove his love to his lover.

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Oswald von Wolkenstein

I 1 Es fuegt sich, do ich was von zehen jaren alt I 1
ich wolt besehen, wie die welt wär gestalt.
mit ellend, armuet mangen winkel haiss und kalt
hab ich gepaut pei cristen, kriechen, haiden.
5 Drei pfenning in dem peutel und ain stücklin prot 5
das was von haim mein zerung, do ich loff in not.
von fremden freunden so hab ich manchen tropfen rot
gelassen seider, dass ich want verschaiden.
Ich loff zu fuess mit swärer puess, pis das mir starb
10 mein vater zwar, wol vierzen jar, nie ross erwarb, 10
wann ains raubt, stal ich halbs zumal mit valber varb
und des geleich schied ich davon mit laide.
Zwar renner, koch so was ich doch und mastallär,
auch an dem rueder zoch ich zue mir, das was swär,
15 in Kandia und anderswa auch wider här. 15
vil mancher kitel was mein pestes klaide.

2 Gen Preussen, Littwan, Tartarei, Türkei, über mer, 2
gen Lampart, Frankreich, Ispanien mit zwaien küngesher
traib mich die minn auff meines aigen geldes wer,
20 Rueprecht, Sigmund, paid mit des adlers streiffen. 20
Franzoisch, mörisch, katlonisch und kastilian,
teutsch, latein, windisch, lampertisch, reuschisch und roman,
die zehen sprach hab ich gepraucht, wann mir zeran;
auch kund ich vidlen, trummen, pauken, pfeiffen.

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Oswald von Wolkenstein
(c.1377-1445)
I In this poem, Oswald von Wolkenstein assesses his life and and his achievements, doing so with the pride and glee of the self-assured and accomplished artist: "Ich Wolkenstain leb sicher klain vernünftiklich" (‘Ich Wolkenstein, ich leb gewiss nicht sehr vernünftig’). The poem is often referred to as Oswald’s «Altersklage», or elegy, not because he wrote it as a chronologically old man, but because of the way contemporaries looked at the various stages in a man’s life: at age 40, one is already at the verge of old age (Kühn, p. 202). This, as well as the four other poems below, are arranged in prose fashion, although Kühn purposely chose to render them into poetic form, a fact which is still clearly noticeable in view of his many adjustments to normal syntax in an effort to emulate the poetry of Oswald von Wolkenstein.

(1) Es kam dazu, daß ich, an die zehn Jahre alt, / mir ansehn wollte, / wie die Welt beschaffen ist. / In Not und Armut, manchem heißen, kalten Land / hab ich gehaust bei Christen, Heiden, Orthodoxen.3
(5) Drei Pfennig in dem Beutel und ein Stückchen Brot, / das nahm ich mit daheim, auf meinem Weg ins Elend. / Bei Fremden, Freunden ließ ich manchen Tropfen Blut, / ich glaubte mich zuweilen schon dem Tode nah. / Ich lief zu Fuß, als sei’s zur Buße. Dann verstarb
(10) mein Vater. Vierzehn Jahre, immer noch kein Pferd. / Nur eins mal halb gestohlen, halb geraubt— ein Falber.4 / Auf gleiche Weise wurd ichs leider wieder los! / War Laufbursch,5 war sogar mal Koch und Pferdeknecht, / und auch am Ruder zog ich, es war reichlich schwer,
(15) bei Kreta und auch anderswo, und dann zurück. / So mancher Kittel war mein bestes Kleid.

(2) Nach Preußen, Litauen. Zur Krim; Türkei; ins Heilge Land; / nach Frankreich, Lombardei und Spanien. Mit zwei Königsheeren / (ich zog umher im Liebesdienst, doch zahlte selbst!)
(15) mit Ruprecht, Sigmund6: beide mit dem Adlerzeichen. / Französisch und arabisch, spanisch, katalanisch, deutsch, / lateinisch, slawisch, italienisch, russisch und ladinisch7— / zehn Sprachen habe ich benutzt, wenn’s nötig war. / Auch konnt ich fiedeln, flöten, trommeln und trompeten.8

476 Oswald von Wolkenstein

25 Ich hab umbvarn insel und arn, manig lant 25
auff scheffen gross, der ich genoss von sturmes pant,
des hoch und nider meres gelider vast berant;
die Swarze Se lert mich ain vass begreiffen,
Do mir zerprach mit ungemach mein wargatin.
30 ain kauffmann was ich, doch genas ich und kam hin, 30
ich und ain Reuss; in dem gestreuss haubtguet, gewin
das suecht den grund und swam ich zue dem reiffen.

3 Ain künigin von Arragun was schön und zart, 3
dafür ich kniet zu willen raicht ich ir den part,
35 mit hendlein weiss pand sie darin ain ringlin zart 35
lieplich und sprach: "non maiplus disligaides."
Von iren handen ward ich in die oren mein
gestochen durch mit ainem messin nädelein,
nach ir gewonhait sloss si mir zwen ring darein,
40 die trueg ich lang, und nent man sie racaides. 40
Ich suecht ze stunt künig Sigmunt, wo ich in vant.
den mund er spreutzt und macht ain kreutz, do er mich kant;
der rueft mir schier: "du zaigest mir hie disen tant?"
freuntlich mich fragt: "tuen dir die ring nicht laides?"
45 Weib und auch man mich schauten an mit lachen so; 45
neun personier künklicher zier die waren do
ze Pärpian, ir pabst von Lun genant Petro,
der römisch künig der zehent, und die von Praides.

4 Mein tummes leben wolt ich verkeren, das ist war, 4
50 und ward ain halber beghart wol zwai ganze jar. 50
mit andacht was der anvank sicherlichen zwar,
het mir die minn das ende nicht erstöret.
Die weil ich rait und suechet ritterliche spil
und dient zu willen ainer frauen, des ich hil,
55 die wolt mein nie genaden ainer nussen vil, 55
pis das ain kutten meinen leib betöret.
Vil manig ding mir do gar ring in handen gieng,
do mich die kappen mit dem lappen umbevieng.
zwar vor und seit mir nie kain meit so wol verhieng,

Oswald von Wolkenstein 477

(25) Ich habe Inseln, Halbinseln und manches Land umfahren / auf Schiffen, deren Größe mich bei Sturm beschützte; / so bin ich auf den Meeren hin und hergereist. / Das Schwarze Meer, es lehrte mich ein Faß umklammern, / als (großes Pech!) die Brigantine9 unterging.
(30) Da war ich Kaufmann, kam davon mit heiler Haut, / ich und ein Russ10; in dem Getöse fuhr mein Kapital / samt Zins zum Meeresgrund; ich aber schwamm zur Küste.

(3) Die Königin von Aragon11 war zart und schön; / ergeben kniete ich und reichte ihr den Bart,
(35) mit weißen Händen band sie einen Ring hinein, / huldvoll und sprach: "Non mais plus disligaides."12 / Die Ohrläppchen hat sie mir eigenhändig dann / durchbohrt, mit einer kleinen Messingnadel; / nach Landessitte hängte sie zwei Ringe dran.
(40) Ich trug sie lang; man nennt sie dort ´racaidesª. / Sobald ich König Sigmund fand, ging ich zu ihm—/ er riß den Mund auf, schlug ein Kreuz, als er mich sah / und rief mir zu: "Was zeigst du mir denn für ein Zeug?" / Und freundlich dann: "Tun dir die Ringe auch nicht weh?"
(45) Die Damen, Herren schauten mich da an und lachten—/ neun Diplomaten, Vollmachtträger, seinerzeit / in Perpignan;13 ihr Papst von Luna, namens Pedro, / als zehnter König Sigmund; auch die Frau von Prades.

(4) Ich wollt mein schlimmes Leben ändern (ja, das stimmt!);
(50) zwei Jahre lang war ich ein halber Laienbruder.14 / Die Andacht machte da den Anfang, ganz gewiß, / doch kam die Liebe dann dazwischen, störte mich. / Ich zog sehr viel umher, war aus auf Ritterspiel; / ich diente einer Dame—den Namen nenn ich nicht.
(55) Sie wollte mir auch nicht ein Quentchen15 Huld gewähren, / eh mich die Kutte nicht zum Narren machte.16 / Ich hatte hübsche Chancen, alles ging ganz leicht, / solange ich den Mantel mit Kapuze trug. / Davor, danach hat kaum ein Mädchen mir soviel gewährt,

478 Oswald von Wolkenstein

60 die meine wort freuntlich gen ir gehöret. 60
Mit kurzer snuer die andacht fuer zum gibel auss,
do ich die kutt von mir do schutt in nebel rauss.
seit hat mein leib mit laidvertreib vil mangen strauss
geliten und ist halb mein freud erfröret.

5 65 Es wär zu lang, solt ich erzelen all mein not. 5
ja zwinget mich erst ain ausserweltes mündlin rot,
davon mein herz ist wund pis in den pittern tot.
vor ir mein leib hat mangen swaiss berunnen;
Dick rot und plaich hat sich verkert mein angesicht,
70 wann ich der zarten dieren hab genumen pflicht, 70
vor zittern, seufzen hab ich oft empfunden nicht
des leibes mein, als ob ich wär verprunnen.
Mit grossem schrick so pin ich dick zwai hundert meil
von ir gerost und nie getrost zu kainer weil;
75 kelt, regen, sne tet nie so we mit frostes eil, 75
ich prunne, wenn mich hitzt der lieben sunne.
Won ich ir pei, so ist unfrei mein mitt und mass.
von meiner frauen so muess ich pauen ellende strass
in wilden rat, pis das genad lat iren hass,
80 und hulff mir die, mein trauren käm zu wunne. 80

6 Vier hundert weib und mer an aller manne zal 6
vand ich ze Nyo, die wonten in der insel smal;
kain schöner pild besach nie mensch in ainem sal:
noch mocht ir kaine disem weib geharmen.
85 Von der ich trag auff meinem ruck ain swäre hurt, 85
ach got, west sie doch halbe meines laides purt,
mir wär vil dester ringer oft, wie we mir wurt,
und het geding, wie es ir müest erparmen.
Wenn ich in ellend dick mein hend oft winden muess,
90 mit grossem leiden tuen ich meiden iren gruess, 90
spat und auch frue mit kainer rue so slaff ich suess,
das klag ich iren zarten, weissen armen.
Ir knaben, mait, bedenkt das lait, die minne pflegen,
wie wol mir wart, do mir die zart pot iren segen.
95 zwar auff mein er, west ich nicht mer ir wider gegen, 95
des müest mein aug in zähern dick erwarmen.

7 Ich han gelebt wol vierzig jar leicht minner zwai 7
mit toben, wüeten, tichten, singen mangerlai;
es wär wol zeit, das ich meins aigen kinds geschrai

Oswald von Wolkenstein 479

(60) da fanden meine Worte nicht so freundliches Gehör. / Und schnurstracks flog die Andacht gleich zum Schädel raus, / als ich die Kutte von mir warf, im Nebel draußen. / In Liebesdingen ist seither mein Stand recht schwer; / mir ist die Lust, die Freude halbwegs abgekühlt.

(5) (65) Erzählen, was ich alles litt, das führte wohl zu weit. / Bin erstmals hörig einem schönen, roten Mund; / das brach mir fast das Herz, war nah am bittren Tod. / Ich kriegte vor ihr manchen Schweißausbruch—/ sehr rot und bleich war wechselweise mein Gesicht,
(70) wenn ich der Schönen meine Aufwartung gemacht. / Vor Zittern, Seufzen war ich oft nicht mehr bei mir, / da schien es mir, als wär ich ausgebrannt. / Verzweifelt war ich fortgerannt, zweihundert Meilen weit / und mehr, und hab doch nirgends Trost gefunden.
(75) Viel schlimmer noch als Kälte, Regen, Schnee: der Schüttelfrost.17 / Ich brenne, wenn die Sonne ihrer Liebe scheint. / Bin ich bei ihr, so ist es mit Verstand, Vernunft vorbei. / Sie ist es, die mich hilflos, in die Ferne treibt, / ins Unheil jagt—bis Gnade ihren Haß aufkündet.
(80) Ach, hälf sie mir: aus Trübsal würde Glück.

(6) Ich sah vierhundert Frauen, ohne einen Mann / auf Nios;18 die wohnten auf der kleinen Insel. / So Schönes hat kein Mensch im Saal auf einem Bild gesehn—/ und doch: es reichte keine an die Frau heran,
(85) die mir die allzu schwere Bürde aufgehuckt.19 / Ach Gott, wär ihr nur halbwegs meiner Last bewußt, / viel leichter wäre mir zu Mut, bei allem Schmerz, / ich hätte Hoffnung, daß sie sich erbarmt. / Wenn in der Ferne ich oft meine Hände ringe,20
(90) wenn ich mit Schmerzen misse ihren Gruß, / wenn früh und spät ich keine Ruhe find im Schlaf, / so sind daran die zarten, weißen Arme schuld. / Verliebte Burschen, Mädchen, denkt an dieses Leid! / Mir ging’s noch gut, als sie den Abschiedssegen gab.
(95) So glaubt mir: wüßte ich, ich sehe sie nicht mehr, / mir würden meine Augen oft von Tränen naß.

(7) Ich habe vierzig Jahre (minus zwei) gelebt / mit wüstem Treiben,21 Dichten, vielem Singen; / es wär jetzt an der Zeit, daß ich als Ehemann

480 Oswald von Wolkenstein
100 elichen hört in ainer wiegen gellen. 100
So kan ich der vergessen nimmer ewikleich,
die mir hat geben muet auff diesem ertereich;
in all der welt kund ich nicht vinden iren gleich.
auch fürcht ich ser elicher weibe pellen.
105 In urtail, rat vil weiser hat geschätzet mich, 105
dem ich gevallen han mit schallen liederlich.
ich Wolkenstain leb sicher klain vernünftiklich,
das ich der welt also lang beginn zu hellen.
Und wol bekenn, ich waiss nicht, wenn ich sterben sol,
110 das mir nicht scheiner volgt wann meiner werche zol.
het ich dann got zu seim gepot gedienet wol,
so vorcht ich klain dort haisser flammen wellen.
 

II Mein sünd und schuld euch priester klag II
an stat, der alle ding vermag,
grob, lauter, schamrot, vorchtlich das sag
durch andacht nasser augen,
5 Und hab ain fürsatz nimmermer 5
mit fleiss ze sünden, wo ich ker.
diemüetiklich mit willen, her,
gib ich mich schuldig taugen.
An dem gelauben zweifel ich,
10 pei gotes namen swer ich vast, 10
mein vater und mueter erenrich
vertragen hab mit überlast.

2 Raub, stelen, töten ist mir gach 2
leib, er und guet dem menschen nach,
15 pan veir, vast tuen ich ungemach, 15
valsch zeuknuss ist mir eben.
Spil, fremder hab wird ich nicht vol,
zaubrei, lug untreu tuet mir wol,
verräterschaft, prand gib ich zol.
20 hochvertig ist mein leben, 20
Von geitikait ich selten rue,
spot, zoren, unkeusch ist mir kunt,
vil essen, trinken spat und frue,
träg, neidig als der esel und hunt.

Oswald von Wolkenstein 481
 
 

(100) aus einer Wiege Kinderschreien hörte. / Doch niemals werde ich die Frau vergessen können, / die mir den frohen Sinn fürs Leben gab. / Ich fand auf dieser Welt noch keine, die ihr gleicht. / Auch fürcht ich ziemlich das Gekeif von Ehefrauen.
(105) Gericht und Rat—was ich dort sagte, schätzte mancher Weise, / dem ich gefiel, wenn ich ihm hübsche Lieder sang. / Ich Wolkenstein, ich leb gewiß nicht sehr vernünftig—/ mir liegt zu sehr daran, daß ich der Welt gefalle / und seh doch wohl: ich weiß nicht, wann ich sterben muß.
(110) Und: daß mir dann nur gute Taten Wert verleihn. / Wär ich bloß dem Gebot des Herrn gefolgt—/ ich bräucht die Höllenflammen kaum zu fürchten.
 

II This «Beichtspiegel» or model confession follows the tradition of practical religious poetry («geistliche Gebrauchsliteratur»). The poem addresses the established penitential topics in individual strophes, summarizing them in strophe 6: the Ten Commandments (strophes 1/2), the seven deadly sins [pride, covetousness, lust, anger, gluttony, envy, and sloth] (2), other people’s sins (3), ignoring acts of mercy [probably the four corporal works of mercy of comforting the afflicted, clothing the naked, visiting the sick, and burying the dead] (3), ignoring the seven gifts of the Spirit [understanding, wisdom, council, fortitude, knowledge, piety, and fear of the Lord] (4), disregard for the seven sacraments (4), abuse of the five senses (5), and offenses against the seven beatitudes (6). The poem illustrates the older Oswald’s didactic and religious endeavors on behalf of his fellow man. It must not be taken entirely literally as a personal confession, but partly as Oswald’s method to hold up a mirror to his contemporaries as well as his age. Strophe 6 appears here in Wachinger’s translation.

(1) Ich klag Euch, Priester, meine Sünd und Schuld / in Stellvertretung des Allmächtigen. / Ich sage offen, klar, voll Scham und Furcht, / die Augen von Zerknirschung22 naß:
(5) ich hab den Vorsatz, willentlich nie mehr / zu sündigen, wo immer es auch sei. / Mit Demut und aus freiem Willen, Herr, / bekenne ich mich schuldig in der Beichte: / ich hege Zweifel an dem Glauben,
(10) ich fluche oft bei Gottes Namen, / und meinen Eltern, die ich ehren sollte, / hab ich das Leben schwer gemacht.

(2) In Rauben, Stehlen, Töten bin ich groß, / will Leben, Ehre und Besitz von anderen,
(15) beachte nie die Fast- und Feiertage, / falsch Zeugnis geben fällt mir leicht. / Im Spielen, Raffen23 bin ich unersättlich, / bin untreu, falsch, benutze Zauberei, / Verrat begehe ich und lege Feuer.
(20) Voll Hoffart24 ist mein Leben. / Die Habgier25 läßt mir selten Ruh, / und Spott, Zorn, Unzucht sind mir wohlbekannt, / und Prassen,26 Saufen, früh und spät. / Bin eselsträge, hundescharf.27

482 Oswald von Wolkenstein

3 25 Die sünd ich haiss, die sünd ich rat, 3
die sünd ich lieb und leich ir stat,
günstlich nicht understen die tat,
tailhaft an rüglichs melden.
Den plossen hab ich nie erkent,
30 armen durst, hungers nicht gewent, 30
krank, tot, gevangen, ellend hent
kain parmung nicht mag velden.
Unschuldigs pluet vergossen han,
die armen leut beswär ich ser,
35 ich kenn die sünd von Sodoman, 40
verdienten lon nicht halb gewer.

4 Die weishait gots, vernunft und kunst 4
götleicher rat, gots sterk, inprunst,
götleiche vorcht, götleiche gunst,
40 götleich lieb, güet nie kande. 40
Den priester ich smäch, mein e zerprich,
mein tauff und firmung übersich,
gots leichnam ich nim unwirdiklich,
ölung, peicht, puess tuet mir ande.
45 Unwillig armuet, übelhait 45
treib ich durch zeit verloren,
das gots recht an parmherzikait
ich hass nach gunst mit zoren.

5 Mein sehen, hören süntlich prauch, 5
50 mein kosten, smecken lustlich slauch, 50
mein greiffen, gen, gedenk verdauch
unfrüchtikleich dem herren,
Der himel und erd beschaffen hat,
und was darinn wonleichen stat,
55 der gab mir Wolkenstainer rat, 55
auss peichten solt ich leren
Durch mein gesank vil hofeleut
und mangen ungewissen mensch,
die sich verirren in der heut,
60 recht als in Pehem tuent die gens. 60

6 Darumb hab ich die zehen pot, 6
die siben todsünd, michel rot,
die fremden sünd an allen spot
bekant durch reulich schulde,

Oswald von Wolkenstein 483
 
 

(3) (25) Zur Sünde treibe ich, verleite ich, / begehe Sünden, schaff Gelegenheiten,28 / verhindre nicht die Sündentaten, / ich nehme teil, verschweige sie. / Die Nackten hab ich ignoriert,
(30) den Armen Durst und Hunger nicht gestillt. / Wer krank, gefangen, sterbend, heimatlos—/ ich habe ihm Erbarmen nie gezeigt! / Vergossen hab ich unschuldig Blut, / den Bauern bürd ich große Lasten auf.29
(35) Auch treibe ich die Sodomie. / Verdienten Lohn entrichte ich nur halb.

(4) Erkenntnis, Weisheit, Wissen Gottes, / sein Rat und seine Stärke, seine Inbrunst,30 / und Gottesfurcht, das Denken über Gott
(40) und Gottes Liebe, Güte: alles ist mir fremd. / Den Priester höhne ich und brech die Ehe, / gedenke nicht der Taufe und der Firmung, / das Sakrament empfange ich unwürdig, / verachte Ölung,31 Buße, Beichte.
(45) Ertrage keine Armut, tue Böses, / vergeude so die Lebenszeit. / Bin ohne Mitleid, hasse drum voll Zorn / die göttliche Gerechtigkeit, die gnädig ist.

(5) Mein Sehen, Hören brauche ich zur Sünde,
(50) mein Schmecken, Riechen zum Genuß, / mißbrauch Berühren, Gehen, Denken, / dem Herrn erweis ich nicht Tribut. / Der Himmel, Erde einst erschuf, / und was sich darin eingerichtet,
(55) der gab mir, Wolkenstein, den Rat, / ich sollt ein Beispiel geben in der Beichte32 / in meinem Lied für viele dort am Hof, / und manchen Menschen, die, verwirrt, / die Richtung ganz verloren haben,
(60) so wie in Böhmen die Hussiten.33

(6) Darum habe ich die zehn Gebote, / die sieben Todsünden, alle miteinander, / und die fremden Sünden in ganzem Ernst / und in Reue über meine Schuld gebeichtet,

484 Oswald von Wolkenstein
65 Die hailgen werch der parmung rain, 65
die gab des hailgen gaistes stain,
vier rueffend sünd, fünf sinn verain.
o priester, gebt mir hulde!
Durch hailikeit der siben gab
70 sprecht ablas meiner sünde, 70
acht sälikait ir nempt mir ab,
das ich in got erzünde.
 

III 1 Es leucht durch graw die vein lasur III
durchsichtiklich gesprenget;
plick durch die praw, rain creatur,
mit aller zier gemenget.
5 Preislicher jan, dem niemand kan nach meim verstan 5
plasnieren neur ain füesslin,
an tadels mail ist er so gail. wurd mir zu teil
von ir ain freuntlich grüesslin,
so wär mein swär auff ringer wag
10 vollkomenlich geschaiden, 10
von der man er, lob singen mag
ob allen schönen maiden.

2 Der tag scheint gogeleichen hel, 2
des klingen alle auen,
15 darin mang vogelreich sein kel 15
zu dienst der rainen frauen
Schärfflichen pricht, süesslichen ticht und tröstlich flicht
mit strangen heller stimme.
all plüemlin spranz, des maien kranz, der sunnen glanz
20 des firmaments hoch klimme 20
Dient schon der kron, die uns gepar
ain frucht keuschlich zu freuden.
wo wart kain zart junkfrau so klar
ie pillicher zu geuden?

3 25 Das wasser, feuer, erd und wint, 3
schatz, kraft der edlen staine,
all abenteuer, die man vint,
gleicht nicht der maget raine,
Die mich erlöst, täglichen tröst. si ist die höst
in meines herzen kloster.

Oswald von Wolkenstein 485
 
 

(65) dazu die reinen Werke heiliger Barmherzigkeit, / die edelsteingleichen Gaben des Heiligen Geistes, / die vier himmelschreienden Sünden34 und alle fünf Sinne. / O Priester, schenkt mir Gnade! / Bei der Heiligkeit der sieben Gaben,
(70) sprecht mir Vergebung meiner Sünde zu! / Nehmt von mir mein Vergehen gegen die acht Seligkeiten, / damit ich in Gott entbrenne.
 
 
 
 

(III) Contrary to the many similar praises of the Virgin Mary during the Middle Ages in which God is portrayed as the bridegroom and lover, Oswald’s praises are rendered in highly personal terms and do not follow the familiar pattern.

(1) Das Grau durchschimmert zart Azur, / luzide eingeschmolzen. / Beschaue es, reine Kreatur, / auch du so schön erschaffen:
(5) von der Erscheinung könnten wir, soweit ich seh, / nicht mal ein Füßlein nachgestalten—
(10) derart ist sie vollkommen! Erhielt ich / von ihr ein freundlich Grüßlein, / so wöge alle Last ganz leicht,
(15) ich würde von ihr35frei, durch sie. / Nur Ehre, Lob kann man ihr singen, / weit mehr als allen schönen Frauen.

(2) Der Tag strahlt jubilierend hell, / am Bach die Wiesen klingen,
(15) dort singt so manche Vogelschar, / der schönen Frau zu dienen / arpeggierend,36schön im Text, hoffnungspendend, / die hellen Stimmen dicht versträhnt. / Und Blumenblüte, Maienkranz und Sonnenglanz,
(20) des Firmamentes hohe Kuppel—/ die ganze Schönheit preist die Frau, / die keusch den Sohn gebar, / zu unserm Heil. / Wo hätte eine Jungfrau je / mit Recht so hohes Lob verdient?

(3) (25) Und Wasser, Feuer, Erde, Wind, / und Glanz und Wirkungskraft der Edelsteine,37 / und alle Wunder, die man sieht—/ es reicht doch nichts an sie heran, / die mich erlöst, mich täglich tröstet: ja, sie ist / die Höchste hier
(30) im Herzenskloster
 
 

486 Oswald von Wolkenstein

ir leib so zart ist unverschart. ach rainer gart,
durch wurz frölicher oster
Ste für die tür grausleicher not,
wenn sich mein haupt wird senken
35 gen deinem veinen mündlin rot, 35
so tue mich, lieb, bedenken!
 

IV 1 Frölich, zärtlich, lieplich und klärlich, lustlich, stille, leise,
in senfter, süesser, keuscher, sainer weise
wach, du minnikliches, schönes weib,
reck, streck, preis dein zarten, stolzen leib!
5 Sleuss auff dein vil liechte euglin klar! 5
taugenlich nim war,
wie sich verschart der sterne gart
in der schönen, haitern, klaren sunnen glanz!
wolauff zue dem tanz!
10 machen ainen schönen kranz 10
von schaunen, praunen, plawen, grawen,
gel, rot, weiss, viol plüemlin spranz.

2 Lunzlocht, munzlocht, klunzlocht und zisplocht, wisplocht,
                                                                 [freuntlich sprachen
auss waidelichen, gueten, rainen sachen
15 sol dein pöschelochter, roter munt, 15
der ser mein herz tiefflich hat erzunt
Und mich fürwar tausent mal erweckt,
freuntlichen erschreckt
auss slaffes traum, so ich ergaum
20 ain so wolgezierte, rote, enge spalt, 20
lächerlich gestalt,
zendlin weiss darin gezalt,
trielisch, mielisch, vöslocht, röslocht,
hel zu fleiss waidelich gemalt.

Oswald von Wolkenstein 487
 
 

(30) Ganz unversehrt ihr zarter Körper. Reine Frau, / laß wirken alle Ostermacht,38/ bewahre uns vor schlimmer Not! / Wenn sich mein Kopf einst senken wird
(35) zu deinem schönen, roten Mund—/ gedenke meiner, Liebes!
 
 

(IV) Oswald wrote this poem between 1411 and 1415 at at time when his poetry was brimming with images of unbridled suggestiveness. The poem is set at dawn, suggesting perhaps a «Tagelied», if it were not for the absence of the watchman and formulae suggesting separation and return.

(1) Fröhlich, friedlich, lieblich und zärtlich, läßlich,39sacht40gemach / und sanft und süß und frisch und rein erwach / du schönes, liebevolles Weib, / streck, reck, zeig den zarten, stolzen Leib,
(5) mach deine strahlend hellen41Augen auf, / und sieh, in deiner Morgenwonne, / wie nun erlahmt der Sterne Lauf / im Glanz der hellen, heitren, klaren Sonne. / Wohlauf nun zum Tanz!
(10) Binde einen schönen Kranz / aus blauem, violettem, / rotem, gelbem, weißem, / lichtem Blütenglanz.

(2) Schmuslich, koslich, küßlich und zünglich, lüstlich sei die Sprache für manche herrlich üppig schöne Sache:42
(15) nur davon sei dein schwellend roter Mund bewegt. / Er hat mein Herz in Liebesglut versetzt, / hat mich gewiß schon tausendfach ergötzt, / hat meine Lust erregt / aus Schlaf und Traum: / hier sah ich bald
(20) den wohlgeformten, sanften Spalt, / zum Lächeln wie gemacht, / darin der Zähne Pracht: / füllig, rosig, lipplich, lecklich—/ mit zartem Pinsel dargebracht!


Oswald von Wolkenstein ["Froelich, zaertlich" mit Neumen](Handschrift B, c. 1431)
488 Oswald von Wolkenstein
3 25 Wolt si, solt si, tät si und käm si, näm si meinem herzen
den senikleichen, grossen, herten smerzen,
und ain prüstlin weiss darauff gesmuckt,
secht, slecht wär mein trauren da verruckt.
Wie möcht ain zart seuberliche diern
30 tröstlicher geziern 30
das herze mein an allen pein
mit so wunniklichem, lieben, rainen lust?
mund mündlin gekust,
zung an zünglin
[...]
 

V 1 "Simm Gredlin, Gret, mein Gredelein, V
mein zarter bül, herz lieb gemait,
dein züchtlich er an mir nicht weich!"
"Halt wie es get, mein Öselein,
5 in deiner schül treu stetikait, 5
die wil ich leren ewikleich."
"Die wort sol ich behalten mir
und schreiben in meins herzen grund
von deinem röselochten munt."
10 "Mein hort, das selb ist wol mein gier, 10
wann ich wil nicht wencken.
Gedenck, liebs Öselein, an mich,
dein Gredlin sol erfreuen dich."

2 "Du kanst mich nicht erfreuen bas, 2
15 wann das ich läg an deinem arm, 15
verslossen als ain kleusener."
"in deiner pflicht wurd ich nicht lass,
an sainlich träg mach ich dir warm
und ist mir das ain klaine swer."
20 "Hab danck, mein trauter aidgesell, 20
das sol ich dir vergessen klain,
wann du bist wol, die ich da main."
"An wanck von mir kain ungevell,
herzlieb, nicht enwarte!"
25 "danck so hab die zarte." 25

Oswald von Wolkenstein 489
 

(3) (25) Wollt sie, möcht sie, tät sie und käm sie, nähm sie meinem Herz / den sehnsuchtsschweren,43herben Schmerz, / die weißen Brüste fest an mich gedrückt—/ das Leid wär fort, ich wär entzückt! / Welch Mädchen sonst, so zart und fein
(30) könnt so beglückend für mich sein, / für dieses Herz: es nimmt den Schmerz / und weckt die reinen, reichen, reifen Lüste: / der Mund den Mund geküßt, / Zung an Zünglein

[...]
 
 

(V) Though the preceding poem may have been almost too explicit and may have been written for a lover, the following poem reveals Oswald’s tender feelings toward his wife Margarete to whom he was almost certainly married by 1417 and who would bear him seven children. Oswald wrote several poems in praise of his wife of which the one below is perhaps the finest because of the reciprocal nature of the responses. Kühn suggests that the poem may have been sung privately among friends and relatives. Moreover, its intimate tone provides us with a privileged glimpse of Oswald and Margarete’s intimate relationship. In order to retain the responsive character, the poem is broken up accordingly, beginning with Oswald’s opening address.

(1) "He, Gretchen, Grete, Gretelein, / du schöne Freundin und Geliebte, / bleib mir und deinem Ansehn treu."

"Das liegt an dir, mein Ösilein,44
(5) für immer will ich bei dir lernen, / was treue Ehebindung ist."
"Was jetzt dein roter Mund gesagt, / das werde ich nie mehr vergessen, / das wird im Herzen eingraviert." (10) "Mein Schatz, dasselbe wünsch ich mir. / Schwanken ist mir fremd.
/ Denk nur an mich, liebs Ösilein, / dein Gretchen wird dich dann erfreun."
(2) "Die schönste Freude ist für mich,
(15) wenn ich in deinen Armen liege—/ der größte Glückspilz bin ich dann! /
Dabei werd ich nicht träge sein, / sehr rührig heize ich dir ein, das ist mir wahrlich keine Last!" (20) "Sehr gut, du mein Verbündeter, / das werde ich dir nicht vergessen; / ich liebe ja nur dich allein. / Nichts Schlimmes brauchst du, Liebster, / von mir je zu befürchten." (25) "Dank sei dir, mein Gutes."

490 Oswald von Wolkenstein

"zart liebster man, mir ist so wol,
wenn ich dein brust umsliessen sol."

3 "Vor aller freud tröst mich dein herz, 3
dorzu dein wunniklicher leib,
30 wenn er sich freuntlich zu mir smucket." 30
"Gesell, so geud ich wol den scherz,
und gailt sich fro dein ainig weib,
wenn mir dein hand ain brüstlin drucket."
"Ach frau, das ist mein zucker nar
35 und süsst mir alle mein gelid, 35
seid du mir haltst günstlichen frid."
"Getraw mir sicherlichen zwar,
Öslin, gar an ende!"
"Gredlin, das nicht wende!
kain wenden zwischen mein und dir 40
sei uns mit hail beschaffen schier."

Oswald von Wolkenstein [Portraet des Dichters]
 

Oswald von Wolkenstein 491
 
 

"Mein lieber Mann, mir ist so wohl, / wenn ich die Arme um dich lege." (3) "Dein Herz, das gibt mir höchste Freude, / dazu dein wunderschöner Körper,
(30) wenn er sich zärtlich an mich schmiegt." "Mein Freund, ich gurre45 vor Vergnügen, / dein einzig Weib, es ist voll
Lust, / wenn deine Hand die Brüste drückt."
"Ach Frau, das gibt dem Affen Zucker,46
(35) das fährt mir süß in alle Glieder— / bewahr mir deine Liebesgunst!" "Du kannst mir ganz vertrauen, / Öslein, und für immer." "Gretchen, bleibe auch dabei— /
(40) es soll sich zwischen uns nichts ändern; / nur so hält sich dies Glück."

Die Reisen Oswald von Wolkensteins