452 Mystical Writers: Johannes Tauler
Johannes Tauler
Ascendit Jhesus
In dysem euangelio von der wochen vnnd von der zeit / lißt man vnder andern worten dz vnser her gieng in ein schifflin das was Simonis vnd hieß jn / daß er das schiff ein wenig auff in die hoehe von dem gestad fuerte. Vnd saß vnd leret das volck auß dem schiff / vnd sprach zuo Simon / Fuere das Mystical Writers: Johannes Tauler 453
5 schiff in die hoehe / vnn werffent euwer netz auß zuo fahen. Simon sprach / Gebieter wir haben alle dise nacht gearbeit / vnd haben nichts gefangen / Aber in deynem wort so wirff ich das netz auß. Vnn do sy das theten / do beschlossen sy als vil fisch dz daß netz zerbrach. Nach vil andern worten so erfüllten sy das schiff als voll das sy wolten versincken.
10 Do fiel sant Peter fur vnsern herren / vnnd sprach / Gee auß von mir wenn ich bin ein sünder.
Diß schiff dz vnser herr in die hoehe hieß vff fueren / das ist anders nicht dann des menschen gemuet inwendig vnd sein meinung. Diß schiff fert in disem sorglichen wuetenden mere diser engstlichen welt / die allweg in
15 einem ueben vnn wueten ist / nun lieb / nun leid / nun sunst / nun so / Wie sorglich es vmb die steet / deren hertz in diser wuetung steet / mit lieb oder mit meinung
Johannes Tauler(c.1300-1361)In contrast to Seuse and Meister Eckhart, Johannes Tauler came from a humble background. Born in Strasbourg in 1300, he entered the Dominican order at the tender age of fourteen. Nothing indicates that he might have studied under Meister Eckhart; nevertheless, as Eckhart’s spiritual disciple, he carefully sought to distance himself from his master’s often uncomfortably unorthodox teachings. He recognized his calling as a preacher and «Seelsorger» (pastor) early in his career, leading him to emphasizes the «via purgativa» over the other two steps to the mystical union with the Divine. In his approximately 80 preserved sermons he advocated an active life over a contemplative one, thus becoming the spiritual ancestor of the religious renewal movement based on practical Christian idealism which originated in the Netherlands by Geert Groote in 1378 and is referred to as the «devotio moderna».
Johannes Tauler was greatly admired by Martin Luther. Indeed, in 1516, Luther discovered and subsequently published as Theologia Teutsch a small pregnant volume by an anonymous author which contained in summary fashion the mystical thought of the past and especially the teachings of the Imitation of Christ —presumably written by Thomas a Kempis (d. 1471)—which Luther had erroneously attributed to Johannes Tauler. The book exerted a profound influence on Luther’s early theology. The following sermon was written for the sixth Sunday after Trinity Sunday, that is the seventh after Pentecost, and was entitled "Ascendit Jhesus in naviculam qui erat Symonis" (‘Jesus embarked on a ship belonging to Simon’) in which Tauler employs the ship metaphor to circumscribe man’s «gemuet inwendig und sein meinung», his purpose and his intentions. The original text used here is based on the 1522 Basel printing of Taulers sermons.
Im Evangelium dieser Zeit von dieser Woche lesen wir unter anderem, daß unser Herr Jesus in ein Schifflein stieg, das dem Simon gehörte, und ihn bat, daß er das Boot ein wenig vom Land abstoße. Und er saß und lehrte das Volk vom Schiff aus; dann sagte er zu Simon: "Fahre
(5) dein Boot hinaus auf die hohe See, und wirf deine Fangnetze aus!" Simon erwiderte: "Herr, wir haben uns die ganze Nacht abgemüht und nichts gefangen. Aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen." Und so taten sie und fingen so viele Fische, daß das Netz zu reißen anfing (Luk. 5: 8). Nach viel anderen Worten heißt es, daß die Fischer das Boot derart mit Fischen füllten, daß sie (beinahe) versanken.
(10) Da fiel Petrus dem Herrn zu Füßen und sagte: "Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch."
Von dieser Barke1wollen wir sprechen. Das Schifflein, das unser Herr auf die hohe See fahren hieß—"Duc in altum"2—ist nichts anderes als der zu Gott strebende Grund des Menschen und seine Gesinnung. Dieses Schifflein fährt auf dem sorgenbringenden, aufgeregten Meer dieser gefährlichen Welt, die allewege
(15) auf den Menschen einwirkt und ihn erregt; bald durch Freude, bald durch Leid, bald so, dann so. Wie sorglich es um alle die steht, deren Grund mit Neigung und Sinnen sich454 Mystical Writers: Johannes Tauler
vnn daran hangt / der das bekent / sein hertz moecht im dorren von leiden. Wie es hernach geen wirt / daran dencken ir nicht / vnd geeend mit blintheit / vnnd mit torheit vmb / wie er euch gekleident vnd
20 gezieren vnd vergessent euwer selbs / vnn des engstlichen vrteils des ir warten seind / vnd nit wissent weder heüt noch morgen. Vnd wiszten ir in welchen engsten vnd sorgen es wurd steen / vmb die welt / vnn vmb alle die do gott in irem grund nicht leüterlichen anhangen
[...]
25 Nun von vnser materi / Fuer das schiff vff in die hoehe. Disz ist der erst weg (der von not muosz sein vor allen dingen) dasz das gemuet sol vnnd muosz vffgefuert sein in die hoehe / das ist sein lieb vnn meynung oder gunst / von allen dem / das gott nicht ist. Wer in disem greülichen mere nitt wil verderben oder ertrincken / des gemuet muosz von not vfferhaben
30 sein von allen creaturen / sy seyen oder heissen wie man woell.
[...]
Vnser herr saß in den schiff vnnd leret das volck. Gott rastet vnd ruowet und bericht alle welt vnn all creatur in disen menschen. Kumpt der mensch in disen grund vnn in diß wesen so seind sicher / es muoß diß netz von nott zerreissen. Nit wenent / das ich mich deß etwas annemm / das ich hierzuo
35 kummen sey. Wie wol kein lerer nicht solt leren / das er selber von leben nicht hat. Doch ist es zuo notturfft gnuog / das er es lieb / vnn meyne vnn nit darwider thuo. Doch wissent / das es nit anders gesein mag / do der fisch als vil gefangen waren / do zerreiß das netz. Also wenn der mensch zuo disem fahen kumpt das der diß eruolgt / so muoß die natur (die hiezuo ze-
40 kranck ist) von not reissen. Also das der mensch nymmer gesunden tag gewinnet. Vnnd das lautet gar wol (als sant Hilgart schreibt) Gottes wonung ist nitt in eim gesunden starcken leib zuo sein. Als sant Paulus spricht / Die tugent wirt volbracht in der kranckheit. Aber dise kranckheit kumpt nit von vßwendiger uebung / sunder von der überflüssigkeit deß über-
45 güß der gotheit / die disen menschen also übergossen hat / daß das der arm irdisch leychnam nicht erleiden mag. Wann gott hat disen menschen als gar in sich gezogen das er wirt gantz gotuar / alles das in im ist das wirt in einer überwesentlicher weyß durchgossen vnd geformt / das got diß menschen werck wircket / vnnd diß heißt wol ein gottformig mensch. Wann
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in solcher Erregung befindet und sogar noch daran hängt—wer das erkennte, dessen Herz könnte vor Leid brechen. Aber was nachkommen wird, daran denkt ihr nicht! In Blindheit und Torheit befangen, kümmert ihr euch nur um Kleidung
(20) und Schmuck. So vergeßt ihr euch selbst und das furchtbare Urteil, das eurer wartet, ob heute oder morgen, wißt ihr nicht. Wüßtet ihr, welch schreckliche Angst und welche Gefahr die Welt bedroht und die, welche Gott nicht lauter in ihrem Grunde anhangen! [...]
(25) Nun denn zu unserem Gegenstand: "Duc in altum—Fahre hinaus auf die hohe See!" Das ist der erste Weg, der vor allem notwendigerweise eingeschlagen werden muß, daß der Seelengrund hinaufgeführt werden soll und muß in die Höhe, daß seine Liebe, sein Sinnen, seine Gunst, weg von allem geführt werden muß, das nicht Gott, sondern Geschöpf ist. Wer also in diesem furchtbaren Meere nicht zugrunde gehen, nicht ertrinken will, der muß notwendigerweise über
(30) alle Geschöpfe, mögen sie sein oder heißen wie immer, erhoben sein.3
[...]
Unser Herr saß im Schiff und lehrte das Volk: so weilt Gott in diesen Menschen und herrscht und lenkt in ihnen die ganze Welt und alles Geschöpf. Ja kommt der Mensch so recht in diesen Grund und in dieses Sein, so muß das Netz notwendigerweise reißen. Glaubt nicht, daß ich in eigenem Erleben bis dahin
(35) gelangt sei. Gewiß sollte kein Lehrer von Dingen sprechen, die er nicht selbst erlebt hat. Doch zur Not genügt, daß er liebe und das im Sinn habe, wovon er spricht, und ihm kein Hindernis bereite. Doch wisset, daß es nicht anders sein kann.4Als so viele Fische ins Netz gegangen und gefangen worden waren, fing das Netz zu reißen an. Gelingt dem Menschen ein solcher Fang, daß er (in diesem Grund in dieses Wesen gelangt) dann muß des Menschen Natur (die hierzu zu
(40) schwach ist) reißen, derart, daß dieser Mensch nie einen gesunden Tag mehr sieht. Das fügt sich gut zu Sankt Hildegard5Worten: "Gott nimmt seine Wohnung nicht in einem starken und gesunden Leibe"; und Sankt Paulus sprach: "Die Tugend vollendet sich in der Schwachheit." Diese Schwachheit aber schreibt sich nicht von äußerer Übung her, sondern vom dem
(45) Überfließen der strömenden Gottheit, das diesen Menschen so überflutet hat, daß der arme irdische Leib das nicht ertragen kann. Denn Gott hat den Menschen so ganz in sich gezogen, daß der Mensch ganz gottfarben wird. Alles, was in ihm ist, wird in einer über alles Sein hinausgehenden Weise durchtränkt und überformt, daß Gott selbst die Werke dieses Menschen wirkt. Und das nennt man mit Recht einen gottförmigen Menschen. Denn456 Mystical Writers: Johannes Tauler
50 wer den menschen recht sehe / der sehe jn als gott / nicht dann von gnaden. Wann got lebt / vnd weiset / vnd wirckt in im all seine werck / vnn gebrauchet sein selbs in im. Gott hat ir ere / sey haben ir schiff in die hoehe gefuert / vnnd haben ir netz wol außgeworffen / wann sy haben vil gefangen.
55 Als das schiff nun also kumpt in die hoehe vnd tieffe / so versinckt daß schiff mitt dem netz / vnn zerbricht allessampt. Wann das ist wol recht / das ein eygenheit zerbrochen vnd zerrissen werd. Wann sol ein ding etwas werden das es nicht ist / so muoß es deß entwerden das es ist.
[...]
Dz ist ein anzeygung das der mensch in disem also fellt in sein grundloß nicht. Vnd würt zuomal klein widerin got (des es auch alles ist) als ob er es
60 nie gewunn vnd wirt mitt allem dem als / bloß als da nichts ist vnnd nye nichts gewan. Vnn also versinckt das geschaffen nicht in das vngeschaffen nicht / das ist / das man nicht versteen oder geworten mag.
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(50) wer diesen Menschen recht betrachtet, sähe ihn als Gott—nur von Gnaden versteht sich—, denn Gott lebt und west und wirkt in ihm alle seine Werke und hat in diesem
Mensch an sich selbst seine Freude. In solchen Menschen findet Gott seinen Ruhm. Sie haben wahrlich ihr Schiff in die Höhe geführt, ihr Netz ausgeworfen und viel gefangen.
(55) Kommt das Schiff an die Stelle des hohen Meeres, wo dies am tiefsten ist, so versinkt das Schiff mitsamt dem Netz, und alles bricht auseinander. Mit Recht wird die (menschliche) Eigenheit zerbrochen und zerrissen. Denn: soll ein jeglich Ding werden, was es nicht ist, so muß das, was es ist, zunichte werden.
[...]
Das ist das eine; das andere ist, daß der Mensch hierbei in sein grundloses Nichts fällt, er wird so klein, so gar nichts, daß er all dem entfällt, was er je und je von Gott empfing, und das gänzlich wieder Gott zurückgibt, dem es (ja) auch gehört, als wenn er es
(60) nie erhalten hätte; und er wird mit all dem so nichts und bloß, ebenso wie das, was nichts ist und nie irgend etwas empfing. Da versinkt das geschaffene Nichts in das ungeschaffene Nichts: aber das ist etwas, was man weder verstehen noch in Worten auszusprechen vermag.