122 Nibelungenlied
2338 "Daz enwélle got von himele", sprach
dô Hagene, 2338
"daz sich dir ergæben zwêne degene, die noch sô werlîche gewâfent gegen dir stânt und noch sô ledeclîche vor ir vîánden gânt." 2339 "Ir ensúlt ez niht versprechen", sô
redete Dietrich, 2339
2340 Ich gibe iu mîne triuwe und sicherlîche
hant, 2340
2341 "Nune múotet sîn niht mêre",
sprach aber Hagene. 2341
2342 Dô sprach meister Hildebrant: "got weiz,
her Hagene, 2342
2343 "Jâ næme ich ê die suone",
sprach aber Hagene, 2343
2344 Des antwurte Hildebrant: "zwiu verwîzet
ir mir daz? 2344
2345 Dô sprach der herre Dietrich: "daz enzímt
niht helde lîp,
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Nibelungenlied 123
(2338) "Gott im Himmel möge verhüten", sagte da Hagen, "daß sich Dir zwei Helden ergeben, die noch so kampfkräftig und in Waffen vor Dir stehen und noch frei vor ihren Feinden einhergehen."
(2339) "Ihr solltet es nicht zurückweisen", so sagte Dietrich; "Gunther und Hagen, Ihr beide habt mir Herz und Sinn so schwer betrübt, daß es nur recht wäre, Ihr würdet mir dafür Genugtuung verschaffen.
(2340) Ich gebe Euch mein Wort und sichere es Euch durch Handschlag zu, daß ich mit Euch zusammen in Euer Land heimreite. Wie Eure Ehre es verlangt, so werde ich Euch geleiten, oder ich will selbst sterben. Euch zuliebe will ich nicht mehr an meinen eigenen schweren Kummer denken."
(2341) "Nun dringt nicht mehr weiter darauf!" sagte wiederum Hagen. "Es wäre gegen unsere Ehre, wenn man über uns erzählte, zwei so tapfere Männer hätten sich Euch ergeben. Zumal man an Eurer Seite niemand anders sieht als Hildebrand allein."
(2342) Da sagte Meister Hildebrand: "Weiß Gott, Herr Hagen. Es kommt sicherlich noch die Stunde, daß Ihr den Frieden, den Euch einer zu gewähren bereit ist, gerne annehmt. Die Sühne, die mein Herr Euch vorschlägt, sollte eigentlich Eure Billigung finden."
(2343) "Wahrhaftig, Meister Hildebrand", sagte wiederum Hagen, "ich nähme eher die Sühne an, als daß ich so schmachvoll aus einem Saal hinausliefe, wie Ihr es hier getan habt. Ich hatte geglaubt, Ihr könntet Euren Feinden tapferer standhalten."
(2344) Darauf antwortete Hildebrand: "Weshalb werft gerade Ihr mir das vor? Wer war es denn, der am Waskenstein auf seinem Schild saß, als Walther von Spanien35 ihm so viele Freunde erschlug? Ihr habt Euch selbst genug vorzuwerfen."
(2345) Da sagte der Herr Dietrich: "Es ziemt sich nicht für Helden, wie die alten Weiber zu keifen.36 Ich verbiete Euch, Hildebrand, noch weiterzureden. Mich verbannten Helden quälen schwerere Sorgen.(2346) Hagen, Du Recke", sagte Dietrich, "laß doch hören,
124 Nibelungenlied
waz ir beide sprâchet, snelle degene,
dô ir mich gewâfent zuo iu sâhet gân? ir jâhet daz ir eine mit strîte woldet mich bestân." 2347 "Jane lóugent iu des niemen", sprach
Hagene der degen 2347
2348 Dô Dietrich gehôrte den grimmen
Hagenen muot, 2348
2349 Dô wesse wol her Dietrich daz der küene
man 2349
2350 Ouch vorhte er Balmungen, ein wâfen starc
genuoc. 2350
2351 Dô dâhte der herre Dietrich: "du
bist in nôt erwigen. 2351
2352 Den schilt liez er vallen. sîn sterke
diu was grôz. 2352
2353 Hagenen bant dô Dietrich und fuorte in,
dâ er vant 2353
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Nibelungenlied 125
was Ihr tapferen Helden sagtet, als Ihr mich in Waffen nahen sahet? Du sagtest, daß Du ganz allein gegen mich kämpfen wolltest."
(2347) "Wahrhaftig, das streitet niemand ab", sagte Hagen, der Held. "Mit harten Schwertschlägen will ich es versuchen, es sei denn, das Schwert Nibelungs37 zerbirst. Ich bin darüber sehr zornig, daß Ihr uns beide hier als Geiseln gefordert habt."(2348) Als Dietrich hörte, wie wütend der grimmige Hagen war, da riß der tapfere, treffliche Held sogleich den Schild hoch. Wie schnell sprang Hagen von der Treppe heran ihm entgegen! Das treffliche Schwert Nibelungs klang hell auf Dietrichs Rüstung.
(2349) Da wußte Herr Dietrich genau, daß der tapfere Mann von grimmigem Zorn erfüllt war. Der Herr von Bern schirmte sich gegen die gefährlichen Schwertschläge ab. Hagen, den herrlichen Helden, kannte er nur zu gut.
(2350) Auch hatte er Angst vor Balmung, dem starken Schwert. Dann und wann schlug Dietrich mit kluger Berechnung zurück, bis er Hagen doch noch im Kampf überwand. Er schlug ihm eine tiefe, lange Wunde.
(2351) Da dachte der Herr Dietrich: "Du bist durch den langen Kampf erschöpft. Ich habe davon wenig Ehre, wenn Du tot vor mir liegst. Ich will versuchen, ob ich Dich ohne Kampf zwingen kann, meine Geisel zu werden." Dietrich war sich über die Gefährlichkeit seines Tuns im klaren.
(2352) Den Schild ließ er zu Boden fallen. Seine Stärke war riesig. Er umschloß Hagen von Tronje mit seinen Armen. Dadurch wurde der tapfere Mann von ihm überwältigt. Darüber wurde der edle Gunther sehr traurig.38
(2353) Dietrich fesselte Hagen, führte ihn zur edlen Königin und lieferte ihr den tapfersten Helden aus, der jemals ein Schwert trug.39 Nach all ihrem Leid wurde sie sehr fröhlich.126 Nibelungenlied
2354 Vor liebe neic dem degene daz Etzelen wîp:
2354
"immer sî dir sælec dîn herze und ouch dîn lîp. du hâst mich wol ergetzet aller mîner nôt. daz sol ich immer dienen, mich ensûmés der tôt." 2355 Dô sprach der herre Dietrich: "ir sult
in lân genesen, 2355
2356 Dô hiez si Hagenen füeren an sîn
ungemach, 2356
2357 Dô gie im hin engegene der herre Dietrîch.
2357
2358 Swie vil der herre Dietrich lange was gelobt,
2358
2359 Ir ellen und ir sterke beide wâren grôz.
2359
2360 Sît twanc in der von Berne, sam Hagenen
ê geschach. 2360
2361 Der herre wart gebunden von Dietrîches
hant, 2361
2362 Dietrîch von Berne der nam in bî
der hant. 2362
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Nibelungenlied 127
(2354) Vor Freude verneigte sich Etzels Gemahlin vor dem Helden: "Möge Dir Herz und Sinn immer von Glück erfüllt sein! Du hast mir Genugtuung geleistet für alles, was ich jemals erlitten habe. Dafür werde ich mich allezeit erkenntlich zeigen, es sei denn der Tod hindert mich daran."
(2355) Da sagte der Herr Dietrich: "Edle Königin, Ihr sollt ihm das Leben lassen! Wenn das geschieht, so wird er Euch Genugtuung leisten für alles, was er Euch angetan hat. Dafür daß Ihr ihn jetzt gefessselt vor Euch seht, soll er nicht mit dem Leben bezahlen."
(2356) Da ließ sie Hagen in einen Kerker führen, wo er gefangen lag und wo ihn niemand sehen konnte. Der edle König Gunther aber rief: "Wo ist der Held von Bern geblieben? Der hat mir bitteres Leid getan."
(2357) Da ging ihm der Herr Dietrich entgegen. Gunthers Tapferkeit war hoch zu rühmen. Da wartete auch er nicht länger und lief vor den Saal. Von den Schwertern der beiden erhob sich ein großer Kampflärm.
(2358) Wie groß auch der Ruhm war, den Herr Dietrich schon lange erworben hatte, Gunther war in einem unbändigen Kampfeszorn, denn er war nach aller bisherigen Not jetzt auf seinen stärksten Feind gestoßen. Man hält es jetzt noch für ein Wunder, daß Herr Dietrich da am Leben blieb.
(2359) Ihre Tapferkeit und ihre Stärke waren groß. Als sie nun mit den Schwertern auf die festen Helme schlugen, hallten Palas und Türme von den Schwertschlägen wider. Der König Gunther zeigte, wie mutig er war.
(2360) Gleich darauf bezwang ihn der Berner, so wie es vorher mit Hagen geschehen war. Man sah, wie dem Helden unter den scharfen Schwertschlägen das Blut aus dem Ringpanzer lief. Das kam von Dietrichs scharfem Schwert. Da hatte sich Gunther trotz seiner Erschöpfung ruhmvoll geschlagen.
(2361) Der Herr wurde von Dietrich gefesselt, wiewohl Königen niemals solche schmachvollen Bande angelegt werden sollten. Dietrich dachte sich aber, wenn er den König und seinen Gefolgsmann ohne Fesseln ließe, würden sie alle erschlagen, die sie sähen.
(2362) Dietrich von Bern nahm Gunther bei der Hand. Da führte er ihn gebunden zu Kriemhild. Da war ihre Not durch die Schmach Gunthers beendet.
128 Nibelungenlied
si sprach: "wíllekomen Gunther ûzer
Búrgónden lant!"
2363 Er sprach: "ich solte iu nîgen, vil liebiu swester mîn, 2363 ob iuwer grüezen möhte genædeclîcher sîn. ich weiz iuch, küneginne, sô zórnéc gemuot, daz ir mir unde Hagenen vil swachez grüezén getuot." 2364 Dô sprach der helt von Berne: "vil edeles
küneges wîp, 2364
2365 Si jach si tæte ez gerne. dô gie
her Dietrîch 2365
2366 Si lie sie ligen sunder durch ir ungemach, 2366
2367 Dô gie diu küneginne dâ si
Hagenen sach. 2367
2368 Dô sprach der grimme Hagene: "diu rede
ist gar verlorn, 2368
2369 "Ich bringez an ein ende", sô sprach daz
edel wîp 2369
2370 Alsô der ungemuote sînes hérren
houbet sach, 2370
2371 Nu ist von Burgonden der edel künec tôt,
2371
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Nibelungenlied 129
Sie sagte: "Willkommen Gunther aus dem Burgundenland!"
(2363) Er sagte: "Ich sollte mich vor Euch verneigen, teure Schwester, wenn Euer Gruß etwas freundlicher gemeint wäre. Ich weiß aber, Königin, Ihr seid so zornig, daß Ihr mir und Hagen nur einen kühlen Gruß gewährt."(2364) Da sagte der Held von Bern: "Gemahlin des edlen Königs, so treffliche Ritter, wie ich sie Euch, erhabene Frau, übergeben habe, wurden niemals vorher zu Geiseln gemacht. Nun sollt Ihr die heimatlosen Männer um meinetwillen schonen."
(2365) Sie sagte, sie täte es gerne. Da ging Herr Dietrich mit Tränen in den Augen von den ruhmvollen Helden fort. Schon kurze Zeit danach nahm die Gemahlin Etzels blutige Rache. Den beiden erlesenen Helden nahm sie das Leben.
(2366) Um ihnen auch nicht die geringste Freude zu gewähren, ließ sie jeden für sich einkerkern, so daß keiner von ihnen den anderen später wiedersah, bis sie den Kopf ihres Bruders vor Hagen brachte. An ihnen beiden nahm Kriemhild blutige Rache.
(2367) Da ging die Königin zu Hagen. Mit welchem Haß sagte sie zu dem Helden: "Wenn Ihr mir wiedergebt, was Ihr mir genommen habt, dann könnt Ihr unversehrt ins Burgundenland zurückkehren."
(2368) Da sagte der grimmige Hagen: "Spart Euer Reden, edle Königin. Wahrhaftig, ich habe geschworen, daß ich den Hort nicht zeige, solange einer meiner Herren am Leben ist, solange werde ich ihn niemandem geben."
(2369) "Ich erreiche jetzt endlich mein Ziel", sagte die edle Frau. Da ließ sie ihrem Bruder das Leben nehmen. Man schlug ihm den Kopf ab. An den Haaren trug sie ihn vor den Helden von Tronje. Da ergriff ihn wilder Schmerz.
(2370) Als der schmerzerfüllte Mann das Haupt seines Herrn erkannte, da sagte der Recke zu Kriemhild: "Wie Du es wolltest, hast Du jetzt Dein Ziel erreicht,40 und es ist auch alles genauso gekommen, wie ich es mir gedacht habe.(2371) Nun sind der edle König von Burgundenland, der junge Giselher und auch Herr Gernot tot.
130 Nibelungenlied
den schaz den weiz nu niemen wan got unde mîn:
der sol dich, vâlandinne, immer wol verholn sîn!" 2372 Si sprach: "so habt ir übele geltes mich
gewert. 2372
2373 Si zôch ez von der scheiden, daz kunde
er niht erwern. 2373
2374 "Wâfen", sprach der fürste, "wie
ist nu tôt gelegen 2374
2375 Dô sprach der alte Hildebrand: "ja geníuzet
si es niht, 2375
2376 Hildebrant mit zorne zuo Kriemhilde spranc,
2376
2377 Dô was gelegen aller dâ der veigen
lîp. 2377
2378 Diu vil michel êre was dâ gelegen
tôt. 2378
2379 Ine kán iu niht bescheiden, waz sider
dâ geschach, 2379
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Nibelungenlied 131
Jetzt weiß niemand außer Gott und mir, wo der Schatz liegt. Der wird Dir, Du Teufelin,41 für immer verborgen bleiben!"(2372) Sie sagte: "Dann habt Ihr mir schlecht vergolten, was Ihr mir schuldig wart. So bleibt mir denn nichts mehr als Siegfrieds Schwert. Das trug mein geliebter Mann, als ich ihn zum letzten Male sah, den ich zu meinem tiefen Schmerz durch Eure Schuld verloren habe."
(2373) Sie zog das Schwert aus der Scheide. Er konnte sich dem nicht widersetzen. Da wollte sie dem Recken das Leben nehmen. Sie hob es mit ihren Händen. Den Kopf schlug sie ihm ab. Das sah der König Etzel. Es ging ihm sehr zu Herzen.
(2374) "Weh", sagte der Fürst, "wie darf es sein, daß der tapferste Held, der jemals in einer Schlacht stand oder einen Schild trug, jetzt hier von der Hand einer Frau erschlagen liegt. Wie sehr ich ihm auch feind war, das geht mir doch sehr zu Herzen."
(2375) Da sagte der alte Hildebrand: "Was mir auch geschieht, es soll ihr nicht durchgehen, daß sie es wagte, den Helden zu erschlagen. Wenn er mich selbst auch in Lebensgefahr brachte, dennoch will ich den Tod des tapferen Tronjers rächen."
(2376) In großem Zorn sprang Hildebrand zu Kriemhild. Er versetzte der Königin einen schweren Schlag mit dem Schwert. Sie hatte furchtbare Angst vor Hildebrand. Aber was konnte es ihr helfen, daß sie so gellend schrie?
(2377) Da lagen nun alle, denen bestimmt war zu sterben, tot am Boden. Die edle Frau war in Stücke gehauen. Dietrich und Etzel weinten. Sie klagten von Herzen um Verwandte und Gefolgsleute.
(2378) Alle, auf die ihre Ehre sich gegründet hatte, lagen erschlagen. Die Leute klagten und weinten. Unter großem Jammer fand das Fest des Königs seinen Abschluß, wie ja immer Freude am Ende mit Leid bezahlt wird.
(2379) Ich kann Euch nicht sagen, was danach geschah, nur soviel kann ich sagen, daß man sah, wie Ritter, Frauen und edle Knappen den Tod ihrer teuren Freunde beweinten. Hier findet die Geschichte ihr Ende. Das ist «Der Nibelunge Not».42