112 Nibelungenlied
36. Aventiure
Wie diu küneginne den sal vereiten hiez
2145 Dô sprach zem marcgrâven Étzel
der künec hêr: 2145
"wie habt ir uns geholfen, vil edel Rüedegêr! wande wir sô vil der veigen hie ze lande hân, wir bedórften ir niht mêre. ir habt vil übele getân." 2146 Dô sprach der ritter edele: "da beswârte
er mir den muot 2146
2147 Dô kom diu küneginne und het ez ouch
gesehen 2147
2148 Daz ir mir unt dem künege mêret unser
leit? 2148
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Nibelungenlied 113
37. Aventiure
Wie Rüdeger erschlagen wurde
(2145) Da sagte der erhabene König Etzel zum Markgrafen: "Heißt das uns helfen, edler Rüdiger? Wir haben doch bereits genug Tote hier im Land, wir brauchen keine weiteren mehr. Ihr handelt nicht recht an mir."28(2146) Da sagte der edle Ritter: "Immerhin hat er mich schwer beleidigt und hat mir mein Ansehen und mein Gut, das ich so reichlich aus Deiner Hand empfangen habe, vorgeworfen. Das ist dem Lügner sehr schlecht bekommen."
(2147) Da kam die Königin und hatte auch bemerkt, was dem Hunnen durch den Zorn des Helden widerfahren war. Ihre Klage war maßlos. Ihre Augen wurden naß. Sie sagte zu Rüdiger: "Wie haben wir das verdient,
(2148) daß Ihr mir und dem König noch unseren Schmerz vergrößert? Nun habt Ihr, edler Rüdiger, uns bisher immer gesagt, Ihr wolltet uns zuliebe Euer Ansehen und Euer Leben aufs Spiel setzen. Ich hörte, daß viele Recken Euch in den höchsten Tönen rühmen.
114 Nibelungenlied
2149 Ich mane iuch der genâden und ir mir
habt gesworn 2149
do ir mír zuo Etzeln rietet, ritter ûz erkorn, daz ir mir woldet dienen an unser eines tôt. des wart mir armem wîbe nie sô grœzlîche nôt." 2150 "Daz ist âne lougen, ich swuor iu, edel
wîp, 2150
2151 Si sprach: "gedenke, Rüedegêr, der
grôzen triuwe dîn, 2151
2152 Étzél der rîche vlêgen
ouch began. 2152
2153 "Owê mir gotes armen, daz ich dítz
gelebet hân. 2153
2154 Swelhez ich nu lâze unt daz ándér
begân, 2154
2155 Dô bâten si genôte, der künec
und ouch sîn wîp. 2155
2156 Er weste schaden gewinnen und ungefüegiu
leit. 2156
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Nibelungenlied 115
(2149) Trefflicher Ritter, ich erinnere Euch an die Unterstützung, die Ihr mir geschworen habt, als Ihr mir rietet, Etzel zu heiraten: daß Ihr mir dienen wolltet, bis einer von uns tot ist.29 Niemals habe ich arme Frau diesen Dienst nötiger gebraucht als jetzt."(2150) "Das ist nicht zu leugnen, ich schwur Euch, edle Frau, daß ich für Euch mein Ansehen und mein Leben aufs Spiel setzen würde. Ich habe aber nicht geschworen, auch die Seele zu verlieren: ich habe die hochgebornen Fürsten auf dieses Fest gebracht."
(2151) Sie sagte: "Rüdiger, denke an Deine große Treue, an Deine Beständigkeit und an die Eide, daß Du allezeit rächen wolltest, was mir an Schaden zugefügt wird und alles, was man mir zuleide tut." Da sagte der Markgraf: "Ich habe Euch niemals etwas abgeschlagen."
(2152) Auch der mächtige Etzel begann zu flehen. Da warfen sich die beiden dem Gefolgsmann zu Füßen. Der edle Markgraf, so konnte man sehen, war sehr bedrückt. Voller Schmerz sagte der treue Recke:
(2153) "Weh über mich gottverlassenen Menschen, daß ich dies erleben mußte. Alles, was mir durch Gottes Gebot zuteil wurde, mein ganzes Ansehen, meine Treue und meine höfische Zucht, das alles muß ich jetzt aufgeben. O Gott im Himmel, weshalb kann der Tod diese Schmach nicht von mir wenden!
(2154) Unterlasse ich jetzt das eine und tue das andere—immer habe ich falsch und ehrlos gehandelt. Lasse ich aber wiederum beides, dann wird mich alle Welt schelten. Nun soll mir der den Ausweg zeigen, der mir das Leben gab."
(2155) Da baten sie gemeinsam, der König und seine Gemahlin. Deshalb mußten dort, wo auch der Held den Tod fand, später viele Recken von Rüdigers Hand das Leben verlieren. Vernehmt jetzt, wie jammervoll er handeln mußte!
(2156) Er wußte, daß er nur Schaden gewinnen und maßloses Leid ihm widerfahren würde. Mit Freuden hätte er dem König und seiner Gemahlin den Dienst abgeschlagen. Er fürchtete sich davor, da alle Welt ihm feind werden könnte, wenn er einen von den Burgunden erschlüge.
116 Nibelungenlied
2157 Dô sprach zuo dem künege der vil
küene man: 2157
"her künec, nu némt hin widere al daz ich von iu hân, daz lant mit den bürgen! des sol mir niht bestân. ich wil ûf mînen füezen in daz éllénde gân." 2158 Dô sprach der künec Etzel: "wer hülfe
danne mir? 2158
2159 Dô sprach aber Rüedegêr: "wie
sol ichz ane vân? 2159
2160 Die liute wænent lîhte daz ich sî
verzaget. 2160
2161 Gîselher dem degene gap ich die tochter
mîn. 2161
2162 Dô sprach aber Kriemhilt: "vil edel Rüedegêr,
2162
2163 Dô sprach der marcgrâve wider daz
edel wîp: 2163
2164 Ich weiz wol daz noch hiute mîne bürge
und mîniu lant 2164
2165 "Nu lône dir gót, Rüedegêr",
sprach der künec dô. 2165
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Nibelungenlied 117
(2157) Da sagte der tapfere Mann zum König: "Herr König, nehmt alles wieder zurück, was ich von Euch erhalten habe, mein Land und meine Burgen! Nichts davon soll mir bleiben. Zu Fuß will ich in die Fremde gehen."30(2158) Da sagte der König Etzel: "Wer stünde mir dann bei? Das Land und die Burgen schenke ich Dir, Rüdiger, damit Du mich an meinen Feinden rächst. Du sollst als gewaltiger König neben Etzel herrschen."
(2159) Da sagte wiederum Rüdiger: "Wie fange ich es nur an? Ich habe sie zu mir in mein Haus geladen, habe ihnen Speise und Trank gegeben und gab ihnen meine Geschenke. Wie könnte ich jetzt darüber nachsinnen, wie ich sie töten kann?
(2160) Die Leute glauben sicherlich, ich hätte keinen Mut. Ich habe den edlen Fürsten und ihren Gefolgsleuten keinen Dienst abgeschlagen. Mich reut jetzt auch, daß ich verwandtschaftliche Bindungen mit ihnen geschlossen habe.
(2161) Giselher, dem Helden, gab ich meine Tochter. Sie hätte es in dieser Welt, was Erziehung und Ansehen, Treue und auch Gut angeht, nicht besser treffen können. Ich habe niemals einen so jungen König gesehen, der schon so höfisch vollkommen war."
(2162) Da sagte wiederum Kriemhild: "Edler Rüdiger, nun habt Erbarmen mit unserem Schmerz, mit meinem und dem des Königs. Denke daran, daß niemals ein Landesherr so schreckliche Gäste hatte."
(2163) Da sagte der Markgraf zu der edlen Frau: "Ich, Rüdiger, muß heute für das einstehen, was Ihr und mein Herr mir Gutes getan habt. Deshalb muß ich sterben. Es kann nicht länger aufgeschoben werden.
(2164) Ich weiß genau, daß meine Burgen und meine Länder noch heute durch die Hand irgendeines Burgunden ledig werden. Ich befehle meine Frau und meine Tochter und alle fremden Recken, die dort in Bechelaren sind, Eurer Gnade an."
(2165) "Nun möge es Gott Dir lohnen, Rüdiger!" sagte da der König. Er und die Königin wurden beide froh.
118 Nibelungenlied
2165 "uns suln dîne liute vil wol bevolhen
wesen. 2165
ouch trûwe ich mînem heile daz du maht selbe wol genesen." [...]
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39. Aventiure
Wie her Dietrich mit Gunther und Hagene streit
2324 Dô suochte der herre Dietrich selbe sîn
gewant. 2324
im half, daz er sich wâfent, meister Hildebrant. dô klagete alsô sêre der kréftége man, daz daz hûs erdiezen von sîner stímmé began. 2325 Dô gewan er widere rehten heldes muot.
2325
2326 Dô sprach von Tronege Hagene: "ich sihe
dort her gân 2326
2327 Jane dúnket sich von Berne der herre
Dietrîch 2327
2328 Dise rede hôrte Dietrich und Hildebrant.
2328
2329 In leitlîchen sorgen sprach dô Dietrîch:
2329
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Nibelungenlied 119
(2165) "Deine Leute sollen unter unserem Schutz stehen. Auch vertraue ich meinem Heil als König, daß Du selbst am Leben bleiben wirst."
Rüdiger leads his men to the attack, and the Burgundians can hardly believe that he is moving against them. They remind him of their friendship, but Rüdiger has to fight for his lord. In the melee the Burgundians lose many men, and finally Rüdiger and Gernot kill each other. Dietrich cannot believe that Rüdiger is dead and sends Hildebrand to confirm it. His men persuade Hildebrand to go armed, and they accompany him. A fight soon breaks out: Volker, a vassal of Gunther and an accomplished fiddler and minstrel, is killed by Hildebrand, Dankwart by Helpfrich, and Wolfhart and Giselher kill one another. Hildebrand is gravely wounded by Hagen, and when he leaves he has no men left. Of the Burgundians only Gunther and Hagen survive. Dietrich is horrified when told that all his men with the exception of Hildebrand have perished, but he goes to Hagen and Gunther and asks them to surrender.
39. Aventiure
Wie Herr Dietrich mit Gunther und Hagen kämpfte(2324) Da suchte sich der Herr Dietrich selbst seine Rüstung. Ihm half Meister Hildebrand, sich zu waffnen. Da klagte der kraftvolle Mann so sehr, daß das Haus von seiner Stimme erbebte.
(2325) Da gewann er seinen wahren Heldensinn wieder.31 Zorn erfaßte den trefflichen Helden, während er gewaffnet wurde. Seinen festen Schild nahm er in die Hand. Schnell gingen er und Meister Hildebrand fort.(2326) Da sagte Hagen von Tronje: "Ich sehe dort den Herrn Dietrich herankommen. Nach dem tiefen Leid, das ihm hier widerfahren ist, wird er sicherlich gegen uns kämpfen. Heute wird man sehen, wem man den Kampfpreis zuerkennen muß.
(2327) Wahrhaftig, so stark und so grimmig kann sich der Herr Dietrich gar nicht vorkommen", sagte Hagen, "als daß ich nicht wagte, ganz allein gegen ihn zu kämpfen: wo er doch jetzt Rache nehmen will für das, was wir im zuleide getan haben."
(2328) Diese Worte hörten Dietrich und Hildebrand. Der Berner32 kam an die Stelle, wo sich die beiden Recken außen an die Wand des Saales lehnten. Seinen trefflichen Schild setzte Dietrich zu Boden.(2329) In Leid und Sorge sagte da Dietrich: "Gunther, mächtiger König, wie konntet Ihr Euch so gegen mich verhalten, gegen einen Verbannten? Was hatte ich Euch denn getan? Ich stehe jetzt ganz allein und habe niemanden mehr, auf den ich mich verlassen kann.
120 Nibelungenlied
2330 Iuch endûhte niht der volle an der grôzen
nôt, 2330
dô ir uns Rüedegêren den helt sluoget tôt. nu habet ir mir erbunnen aller mîner man. jane hét ích iu helden solher leide niht getân. 2331 Gedenket an iuch selben unde an iuwer leit,
2331
2332 Ez geschách ze dirre werlde nie leider
manne mêr. 2332
2333 "Jane sîn wir niht sô schuldec",
sprach dô Hagene. 2333
2334 "Waz sol ich gelouben mêre? mir seitez
Hildebrant. 2334
2335 Dô sprach der künec von Rîne:
"si jâhen wolden tragen 2335
2336 Dô sprach der helt von Berne: "ez muose
et alsô sîn. 2336
2337 Ergip dich mir ze gîsel, du und ouch dîn
man! 2337
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Nibelungenlied 121(2330) Als Ihr uns Rüdiger erschlugt, da genügte Euch das Leid offenbar noch nicht. Nun habt Ihr mir auch noch alle meine Gefolgsleute genommen. Wahrhaftig, ich hatte Euch Helden nichts getan.
(2331) Denkt doch an Euch selbst und an Eure eigene Not, an den Tod Eurer Freunde und an die Anstrengungen des Kampfes! Ist denn nicht auch Euch trefflichen Recken das Herz schwer geworden? Ach, wie bitter mich der Tod Rüdigers quält!
(2332) Niemals ist auf dieser Welt einem Menschen ein schlimmeres Leid widerfahren. Ihr habt Euch zu Unrecht über mein und Euer Leid hinweggesetzt! Mein ganzes Glück habt Ihr durch Eure Schwerthiebe zerstört. Wahrhaftig, niemals mehr kann ich den Tod meiner Verwandten verwinden."
(2333) "Wahrhaftig, wir sind nicht so schuldig!" sagte da Hagen. "Eure Helden kamen in voller Bewaffnung in riesiger Schar hierher zu diesem Haus. Mir scheint, daß die Geschichte Euch nicht richtig erzählt worden ist."
(2334) "Was soll ich denn nun glauben? Mir hat es Hildebrand erzählt. Als meine Recken aus dem Amelungenland33 den Wunsch aussprachen, Ihr möchtet ihnen Rüdiger aus dem Saal herausgeben, da hättet Ihr nur Euren Hohn und Spott auf die tapferen Helden herabgeschüttet."(2335) Da sagte der König vom Rhein: "Sie sagten, sie wollten Rüdiger forttragen. Um Etzel, nicht um Deine Leute zu treffen, gab ich den Befehl, ihnen den Leichnam zu versagen, bis dann Wolfhart deswegen zu schimpfen begann."
(2336) Da sagte der Held von Bern: "Es mußte wohl so kommen! Gunther, edler König, Deiner höfischen Vollkommenheit wegen sollst Du mir für das, was Du mir zuleide getan hast, einen Ersatz bieten und es auf eine Weise sühnen, tapferer Ritter, die ich anerkennen kann.
(2337) Ergib Dich mir als Geisel, Du und auch Dein Gefolgsmann! Dann will ich Dich, so gut ich nur kann, beschützen, daß Dir niemand hier bei den Hunnen ein Härchen krümmt. Du wirst sehen, daß ich es nur treu und gut mit Euch meine."34
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