328 Walther von der Vogelweide: Political Poetry
IV Der in den ôren siech von ungesühte
sî, IV
daz ist mîn rât, der lâz den hof ze Dürengen frî, wan kumet er dar, dêswâr er wirt ertœret. Ich hân gedrungen unz ich niht mê dringen mac: 5 ein schar vert ûz, diu ander in, naht unde tac, 5 grôz wunder ist daz iemen dâ gehœret. Der lantgrâve ist sô gemuot, daz er mit stolzen helden sîne habe vertuot, der iegeslîcher wol ein kenpfe wære. 10 mir ist sîn hôhiu fuore kunt: 10 und gulte ein fuoder guotes wînes tûsent pfunt, dâ stüende ouch niemer ritters becher lære. V Ahî wie kristenlîche nû
der bâbest lachet, V
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Walther von der Vogelweide: Political Poetry 329
Der Hof Hermanns von Thüringen
(IV) The poet here shows another side of the patronage system. He had visited the court of Count Hermann of Thüringen at Eisenach in 1202 (or 1204), where too much time and money were given over to riotous living. On the other hand, Hermann was widely known as a fervent and generous supporter of poets, including Veldeke, Herbort, Wolfram, Albrecht von Halberstadt, Heinrich von Morungen, and Walther himself. The «Wartburgkrieg», a poetic contest which is supposed to have taken place at the Wartburg, Hermann’s castle, is strictly fiction.
Walther’s criticism is tempered but undoubtedly intended to be serious. Wolfram von Eschenbach complains about the same excesses in Parzival (297: 16ff.).
Ohrenkranken rate ich, den Thüringer Hof zu meiden, sie würden dort völlig taub. Ich habe das Gedränge mitgemacht, bis ich nicht mehr konnte.
(5) Das ist ein Kommen und Gehen der Horden Tag und Nacht; ein Wunder daß man überhaupt noch hören kann. So ist der Landgraf nun einmal: mit wackeren Kriegern verschleudert er Hab und Gut; jeden von ihnen könnte man in die Arena stellen
(10) Ich weiß, wie großartig der Landgraf lebt:5 und kostete eine Fuhre mit gutem Wein tausend Pfund, die Becher der Ritter wären niemals leer.Der Papst zu Rom
(V) Written in the so-called «Unmutston»—like the following poem as well—this is Walther’s most vicious antipapal satire. Unlike the anticlerical satires of the Latin poets, it is directed against the person of the pope and blames him for the misconduct it alleges. At Easter in 1213, collection boxes for financial contributions for a new crusade were placed in the churches. Walther assumes, without any evidence that we know of, that the funds were to be diverted to the personal treasury of the pope. The poem is clearly chauvinistic, attacking the pope because he favored Frederick II and attempted the overthrow of Otto IV, whom Walther was now supporting. The only criterion Walther uses is whether German unity and independence will be helped or hindered by the pope’s actions. The poem is thus pure propaganda, intended to persuade the German people not to contribute money to the papal see, even for a good cause. Apparently it was effective, as we know from the remarks of Thomasin von Zerclære ("wan er hât tûsent man betœret / daz sie habent überhœret / gotes und des bâbstes gebot," Der Welsche Gast, ll. 11223-11225). In his poem, written in 1215, Thomasin says that many Germans had been misled by Walther’s attacks. These attacks are made more deadly by the device of making the pope reveal his wicked plans.
Hei, wie christlich sich jetzt der Papst [ins Fäustchen] lacht, wenn er zu seinen Italienern sagt: "Ich habe das Ding so gedreht!" (Was er da sagt, sollte er nicht einmal gedacht haben.) Er sagt [nämlich]: "Ich habe zwei Deutsche unter eine Krone gebracht,
(5) damit sie das Reich verwirren und verwüsten; währenddessen mülin6 ihnen ihre Truhen. Ich habe sie an meinen Opferstock getrieben,7 ihr ganzes Geld gehört mir.330 Walther von der Vogelweide: Political Poetry
ir tiuschez silber vert in mînen welschen
schrîn.
ir pfaffen, ezzet hüener und trinket wîn 10 unde lânt die tiutschen leien magern unde vasten." 10 VI Swelch herze sich bî disen zîten
niht verkêret, VI
VII Ich wolt hêrn Otten milte nâch
der lenge mezzen, VII
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Walther von der Vogelweide: Political Poetry 331
Ihr deutsches Silber hüpft in meine italienische Truhe. Ihr Geistlichen, eßt Hühner und trinkt Wein
(10) und laßt die Deutschen [...] fasten!"
Rom und das Ketzertum
(VI) Again the hermit, the symbol of pure, unadulterated Christianity (Schaefer) and an arbiter of his times, is called as a witness in the conclusion to a poem that criticizes the papacy in terms of its own contributions toward heresy.
Wenn unser Herz in diesen Zeiten den wahren Glauben nicht verliert, wo doch der Papst in Rom höchstselbst die Ketzerei begünstigt, dann muß ein guter Geist und Gottes Liebe uns zur Seite stehn. Seht doch, was die Pfaffen uns sagen und was sie tun.
(5) Einst waren ihre Worte rein wie ihre Werke; auch heute sind Worte und Werke eins: wir sehen schlechte Taten, hören schlechte Worte—doch sollten ihre Lehre und ihr Leben uns Vorbild sein. Da müssen wir armen Laien verzagen.
(10) Ich glaube, mein lieber Klausner klagt und weint bitterlich wie einst.
Milde und Länge
(VII) This poem, like the next one, is written in the «Friedrichston» which Walther used in poems during the time when he changed his loyalty from Otto IV to Frederick II, who had been king officially since 1212/1214. The exact meaning of the poem has been disputed, but the general sense is clear. Philip II was a short man but long on generosity. Otto IV was a tall man, but his gifts were in inverse proportion to his height. The play on words becomes more significant when one realizes that Frederick II, too, was short but, because of his youth, could of course still grow both in stature and generosity.
Wie freigebig Herr Otto sei, das wollte ich an seiner Körperlänge messen, doch mit diesem Maß hatte ich mich verrechnet: Wäre seine Hand so gebefreudig wie sein Körper lang, er wäre ein Ausbund der Tugend. Schnell maß ich ihn wieder, nun die äußere Länge mit dem Maß des inneren Wertes,
(5) da war er viel zu kurz, wie schlecht geschnittener Stoff, an Großmut kleiner als ein Zwerg—und ist doch in den Jahren, da man nicht mehr wächst. Als ich jedoch dasselbe Maß an den König8 legte, wie machtvoll wuchs er empor, sein junger Körper wurde hoch und groß.
(10) Denkt nur, wie er noch wachsen mag, dabei überragt er den anderen jetzt schon, riesengleich.
332 Walther von der Vogelweide: Political Poetry/Love Poetry
VIII Ich hân mîn lêhen,
al die werlt, ich hân mîn lêhen. VIII
nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen und wil alle bœse hêrren dester minre flêhen. Der edel künec, der milte künec hât mich berâten, 5 daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân. 5 mîn nâhgebûren dunke ich verre baz getân, sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs als sî wîlent tâten. Ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc, ich was sô voller scheltens daz mîn âten stanc: 10 daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc. |
Love Poetry
IX 1 Aller werdekeit ein füegerinne,
IX
1
daz sît ir zewâre, frouwe Mâze; er sælic man, der iuwer lêre hât! Der endarf sich iuwer niender inne 5 weder ze hove schamen noch an der strâze; 5 dur daz sô suoche ich, frouwe, iuwern rât. Daz ir mich ebene werben lêret! wirbe ich nidere, wirbe ich hôhe, ich bin versêret. ich was vil nâch ze nidere tôt, 10 nû bin ich aber ze hôhe siech: unmâze enlât mich âne nôt. |
Walther von der Vogelweide: Political Poetry/Love Poetry 333Das Reichslehen
(VIII) This poem is not only an outburst of joy over the small fiefdom near Würzburg, granted to the poet by Frederick II in 1220, but also an admission that his miseries had caused him to be crude and bitter in his writings and in his relations with others, especially reluctant patrons.
Ich habe mein Lehen, [ich rufe es] der ganzen Welt [zu], ich habe mein Lehen! Nun fürchte ich keinen Februar mehr für meine Zehen, und werde auch die geizigen Herren nicht mehr anbetteln. Der edle König, der gütige König hat mich versorgt,
(5) sodaß ich im Sommer luftige Kühle und im Winter Wärme habe. Meinen Nachbarn komme ich jetzt sehr viel ansehnlicher vor, sie sehen mich nicht mehr an, als wäre ich ein Buhmann,9 wie sie es früher taten. Ich bin zu lange ohne mein Verschulden arm gewesen, ich war so voll bitterer Worte, daß mein Atem stank.(10) Das hat der König wiedergutgemacht und mein Singen auch.
Love Poetry
Minne: hohe, niedere, ebene(IX) The following poems are concerned either with the celebration of so-called «hôhe-wîp-Minne», that is, the formal courtship of aristocratic ladies, or «ebene Minne» through poems called «Mädchenlieder». The poem below is rather difficult to interpret. Literary scholars have deduced from it some of the concepts which are central and rather essential to the understanding of Walther’s love poetry: «hôhe minne», and «ebene minne», that is, a love that neither gets lost in sublimation or is so demoralizing that it leads to debauchery («nideriu minne»). It is not entirely clear whether Walther had intended the result of the latter to be referred to as «nideriu minne», or whether he merely wanted to suggest that there are relationships which will make the poet stray from accepted forms of formal courtship. It is interesting to note that the frustration expressed in Hartmann von Aue’s poem "Maniger grüezet mich alsô," points in the same direction. Also, the attribute "füegerinne," meaning a woman who challenges men to a higher intellectual and ethico-moral consciousness (cf. poems X: 23f.; XIII: 20ff.), has led to sundry speculations, sometimes in the form of a deliberate juxtaposition of "füegerinne" and "vâlandinne," the debasing perversion of the former, as expressed by the changes Kriemhild undergoes between parts I and II of the Nibelungenlied (cf. strophe 2371, footnote).
(1) Alles, was wertvoll ist, bewirken wahrlich Sie, erhabene Einsicht in das rechte Maß. Glücklich der Mann, der Ihrer Lehre folgt! Der braucht sich Ihrer nirgendwo,
(5) weder am Hof noch draußen im Land, zu schämen. Deshalb bitte ich um Ihren Beistand, Herrin, daß Sie mich werben lehren, wie es sich für mich schickt. Werbe ich zu tief [unter meinem Stand], werbe ich zu hoch [über ihm], ist es mein Schaden.
Ich bin beinahe zugrunde gegangen, weil ich zu tief herunterging,
(10) nun bin ich wiederum krank, weil ich zu hoch gestiegen bin; Maßlosigkeit läßt mich nicht ohne Qual.334 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
2 Nideriu minne heizet diu sô swachet
2
daz der lîp nâch kranker liebe ringet; diu minne tuot unlobelîche wê. Hôhiu minne reizet unde machet 15 daz der muot nâch hôher wirde ûf swinget; 15 diu winket mir nû, daz ich mit ir gê. Mich wundert wes diu mâze beitet. kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet. mîn ougen hânt ein wîp ersehen; 20 swie minneclich ir rede sî, mir mac doch schade von ir [geschehen.
X 1 "Frouwe, vernemt dur got von mir diz mære:
X
1
ich bin ein bote und sol iu sagen, Ir sült wenden einem ritter swære, der si lange hât getragen. 5 Daz sol ich iu künden sô: 5 ob ir in welt fröiden rîchen, sicherlîchen des wirt manic herze frô. 2 Frouwe, enlât iuch des sô niht
verdriezen, 2
3 Frouwe, sendet im ein hôhgemüete,
3
4 25 "Jâ möhte ich michs an in
niht wol gelâzen, 4
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Walther von der Vogelweide: Love Poetry 335
(2) Niedrige Liebe heißt die, die so demoralisiert, daß der Sinn nach unstandesgemäßer10 Liebschaft verlangt; diese Art von Liebe fügt unrühmlichen Schmerz zu. Hohe Liebe stachelt an und bewirkt,
(15) daß sich der Sinn auf ein hohes Ziel richtet; diese winkt mir nun zu, mit ihr zu gehen. Ich frage mich, warum die Einsicht in das rechte Maß [dennnoch] zaudert. Wenn die Herzensneigung erwacht, bin ich doch wieder verführt. Meine Augen haben eine Frau erblickt,
(20) durch die mir, mögen ihre Worte auch noch so liebenswürdig sein, dennoch Unglück erwachsen kann.
Vollkommenheit und Freude
(X) This «Botenlied», a genre in which the knight gives a message to a messenger who in turn delivers the message without necessarily returning with a message from the lady, belongs among the earliest songs of Walther. Notice the ennobling influence the lady has on the aspirations of the knight and on the world surrounding her.
(1) "Herrin, hört bei Gott, was ich Euch künde! Ich bin ein Bote und muß Euch sagen, Ihr sollt einem Ritter seinen Kummer nehmen, den er schon so lange trägt.
(5) Ich soll’s mit diesen Worten sagen: Schenktet Ihr ihm reiche Freude, viele andere würden froh durch seine Freude.(2) Herrin, Ihr sollt es nicht müde werden
(10) und seiner Seele hohe Freude schenken. Das kommt Euch und allen zugute, denen Freude Glück bereitet. Wenn Ihr ihm solche Freude schenkt, so ist sein Herz gestimmt, (15) Euren Ruhm und Euren Wert zu preisen und zu singen.(3) Herrin, schenkt ihm ein frohes Herz, denn all seine Freude liegt an Euch. Er verdient es, teilzunehmen an Eurer Vollkommenheit,
(20) die alles Edle umgreift. Herrin, gebt seiner Seele diese hohe Freude. Wenn Ihr nur wollt, dann ist sein Leid zu Ende. So zeigt Ihr ihm den Weg, sich selbst nach dem Vollkommenen zu sehnen."
(4) (25) "Daß er sich von Herzen bewahrt, darauf kann ich nicht fest vertrauen.
336 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
Krumbe wege die gênt bî allen strâzen;
dâ vor, got, behüete mich. Ich wil nâch dem rehten varn, 30 ze leide im der mich anders lêre. 30 swar ich kêre, dâ müeze mich doch got bewarn." |
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 337
Neben allen geraden Straßen laufen krumme Wege, vor ihnen möge mich Gott behüten. Den geraden Weg will ich gehen,
(30) allen zum Trotz, die mir andere Wege weisen. Auf allen Wegen bewahre mich, lieber Gott."
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