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336 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
 
XI 1 Muget ir schouwen waz dem meien XI 1 
wunders ist beschert? 
Seht an pfaffen, seht an leien, 
wie daz allez vert. 
5 Grôz ist sîn gewalt. 5 
ine weiz obe er zouber künne; 
swar er vert in sîner wünne, 
dân ist niemen alt. 

2 Uns wil schiere wol gelingen: 2 
10 wir suln sîn gemeit, 10 
Tanzen, lachen unde singen 
âne dörperheit. 
Wê wer wære unfrô? 
sît die vogele also schône 
15 singent in ir besten dône, 15 
tuon wir ouch alsô! 

3 Wol dir, meie, wie dû scheidest 3 
allez âne haz! 
Wie dû walt und ouwe kleidest 
20 und die heide baz! 20 
Diu hât varwe mê. 
"du bist kurzer, ich bin langer"— 
alsô strîtens ûf dem anger, 
bluomen unde klê. 

4 25 Rôter munt, wie dû dich swachest! 4 
lâ dîn lachen sîn. 
Scham dich daz dû mich an lachest 
nâch dem schaden mîn. 
Ist daz wol getân? 
30 owê sô verlorner stunde, 30 
sol von minneclîchem munde 
solch unminne ergân.

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 337
 
 

Frühlingswonne

(XI) Although Walther von der Vogelweide rarely uses the so-called «Natureingang», or ‘nature opening’ in his poetry, which was rather common in medieval Latin and Romance love poetry and was gleaned from the poets of antiquity, he does so here with great effectiveness (Schaefer). The personification of the forces of nature and the ironical treatment of ‘love-in-spring’ combine to make this the most successful of Walther’s spring poems. It probably originated during his years of wandering following his departure from the court in Vienna in 1198. The poet mocks at the convention of the ‘cruel lady’ by calling upon her to be just a little less unrelenting.

(1) Wollt ihr nicht schauen, wieviel an Herrlichkeiten dem Mai geschenkt ist? Seht nun, wie allen, geistlich oder weltlich, zumute ist!
(5) Gewaltig ist seine Macht. Ich weiß nicht, ob er nicht [sogar] zaubern kann; wo er mit seiner Pracht hinkommt, da fühlt sich niemand alt.

(2) Uns wird es bald herrlich gehen,
(10) wir werden fröhlich sein, tanzen, lachen und singen—aber manierlich! Ach, wer wollte traurig sein, wo doch die Vögelchen so lieblich
(15) ihre schönsten Melodien singen. Laßt es uns ebenso tun!

(3) Lob verdient es, Mai, wie du alles in Frieden schlichtest! Wie schön du die Bäume herausputzt
(20) und noch schöner die Heide! Die ist noch farbiger. "Du bist kleiner, ich bin größer", so streiten auf der Wiese Blumen und Klee.

(4) (25) Roter Mund, warum tust du, was deiner nicht würdig ist! Hör auf zu lachen! Schäm dich, mich anzulachen, wo es mir so übel ergeht! Ist das recht gehandelt?
(30) Weh über so vertane Zeit, wenn durch einen so liebenswürdigen Mund etwas so gar nicht Liebes getan wird!

338 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
 

 
5 Daz mich, frouwe, an fröiden irret, 5 
daz ist iuwer lîp. 
35 An iu einer ez mir wirret, 35 
ungenædic wîp. 
Wâ nemt ir den muot? 
ir sît doch genâden rîche: 
tuot ir mir ungnædeclîche, 
40 sô sît ir niht guot. 40 

6 Scheidet, frouwe, mich von sorgen, 6 
liebet mir die zît! 
Oder ich muoz an fröiden borgen. 
daz ir sælic sît! 
45 Muget ir umbe sehen? 45 
sich fröit al diu welt gemeine: 
möhte mir von iu ein kleine 
fröidelîn geschehen! 

  
XII 1 Sô die bluomen ûz dem grase dringent, XII 1 
same si lachen gegen der spilden sunnen 
in einem meien an dem morgen fruo, 
Und diu kleinen vogellîn wol singent 
5 in ir besten wîse die si kunnen, 5 
waz wünne mac sich dâ gelîchen zuo? 
Ez ist wol halb ein himelrîche! 
suln wir sprechen waz sich deme gelîche, 
sô sage ich was mir dicke baz 
10 in mînen ougen hât getân 10 
und tæte ouch noch, gesæhe ich daz. 

2 Swâ ein edeliu schœne frouwe reine, 2 
gekleidet unde wol gebunden, 
dur kurzewîle zuo vil liuten gât; 
15 Hovelîchen hôhgemuot, niht eine, 15 
umbe sehende ein wênic under stunden, 
alsam der sunne gegen den sternen stât? 
Der meie bringe uns al sîn wunder: 
waz ist dâ sô wünneclîches under 
20 als ir vil minneclîcher lîp? 20 
wir lâzen alle bluomen stân 
und kapfen an daz werde wîp. 
 

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 339

 

(5) Sie sind es, gnädige Frau, die mir alle Freude nimmt.
(35) Sie bringen mich ständig aus der Fassung, unerbittliche Frau. Warum sind Sie so? Sie haben doch so viel zu verschenken; wenn Sie gegen mich hartherzig sind,
(40) dann sind Sie nicht gut.

(6) Gnädige Frau, erlösen Sie mich von [meinen] Sorgen, machen Sie, daß ich den Mai genießen kann! Sonst muß ich mir Glück zusammenbetteln. Sie sollen glücklich sein.
(45) Wollen Sie nicht um sich schauen? Alle Welt freut sich. Könnte doch auch mir eine winzig kleine Freude zuteil werden!

 

 

 

 

Frühling und Frauen

(XII) In this lyric poem Walther shows his ability to make the ‘spring-topos’ come alive. The woman is seen as part of nature. The mood of the poem and the portrayal of women are similar to that expressed by the «Mädchenlieder» below.

(1) Wenn die Blumen aus dem Grase sprießen, als lachten sie der lachenden Sonne entgegen früh an einem Morgen im Mai, und die kleinen Vögel
(5) ihre schönsten Lieder singen—gibt es ein schöneres Glück? Es ist, als wären wir im Himmel. Doch soll ich sagen, was jener Freude gleicht?
(10) Es hat meine Augen noch mehr beglückt und würde sie immer wieder beglücken, dürfte ich’s wiedersehen.

(2) Wenn eine edle Frau, vollendet schön die Seele und die Gestalt, in prächtigen Kleidern und mit schön geschmücktem Haupt in Gesellschaft geht,
(15) um mit andern froh zu sein, festlich elegant, von Gefolge begleitet, manchmal hierhin, manchmal dorthin schauend, und neben Sternen leuchtet wie die Sonne—da mag der Mai uns alle seine Wunder schenken! Ist auch nur eins so herrlich schön
(20) wie ihre Lieblichkeit? Wir lassen alle Blumen und sind versunken im Anblick der edlen Frau.

340 Walther von der Vogelweide: Love Poetry

 
3 Nû wol dan, welt ir die wârheit schouwen, 3 
gên wir zuo des meien hôhgezîte! 
25 der ist mit aller sîner krefte komen. 25 
Seht an in und seht an schœne frouwen, 
wederz dâ daz ander überstrîte: 
daz bezzer spil, ob ich daz hân genomen. 
Owê der mich dâ welen hieze, 
30 deich daz eine dur daz ander lieze, 30 
wie rehte schiere ich danne kür! 
hêr Meie, ir müeset merze sîn, 
ê ich mîn frouwen dâ verlür. 
  
 

XIII 1 Ein niuwer sumer, ein niuwe zît, XIII 1 
ein guot gedinge, ein lieber wân, 
diu liebent mir en widerstrît, 
daz ich noch trôst ze fröiden hân. 
5 Noch fröwet mich ein anderz baz 5 
dan aller vogellîne sanc: 
swâ man noch wîbes güete maz, 
dâ wart ir ie der habedanc. 
Daz meine ich an die frouwen mîn. 
10 dâ muoz noch mêre trôstes sîn: 10 
sist schœner danne ein schœne wîp, 
die schœne machet lieber lîp. 

2 Ich weiz wol daz diu liebe mac 2 
ein schœne wîp gemachen wol. 
15 iedoch swelch wîp ie tugende pflac, 15 
daz ist diu der man wünschen sol. 
Diu liebe stêt der schœne bî 
baz danne gesteine dem golde tuot. 
nû jehet waz danne bezzer sî, 
20 hânt dise beide rehten muot. 20 
Si hoehent mannes werdekeit. 
Swer ouch die süezen arebeit 
dur si ze rehte kan getragen, 
der mac von herzeliebe sagen. 

3 25 Der blic gefröwet ein herze gar, 3 
den minneclîch ein wîp an siht. 
wie welt ir danne daz der var, 
dem ander liep von ir geschiht?

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 341

 

(3) Wollt ihr die Wahrheit wissen, so laßt uns alle nun zum Fest des Maien gehn!
(25) Der ist mit aller Macht gekommen. Schaut ihn an und dann die schönen Frauen und seht, wer Sieger bleibt—habe ich nicht das bessere Spiel gespielt? Ach, wenn ich da wählen müßte,
(30) das eine nehmen, das andere lassen, ohne Zögern wählte ich da! März müßtet Ihr werden, Herr Mai, ehe ich für Euch meine Herrin aufgäbe!
 
 

Der Sinn des Minnesangs
(XIII) In this poem Walther reflects on what a man ought to do when the lady he loves will not relent. He will still be better for it; courtship makes a man’s life more valuable and meaningful, and ennobles him in many ways ("hœhe[]t mannes werdekeit"). Walther cleverly juxtaposes here the change of season with that of hope: with every new season there is renewed hope and expectation though all his efforts may prove to be for nought. This poem is significant in another way since it illustrates one of the essential ingredients of «hôhe-wîp-Minne»: reflection on the subject of love.

(1) Ein neuer Sommer, neue Zeit im Jahr, schönes Erwarten, süßer Hoffnungstraum: ich weiß nicht, was mir lieber ist; sie alle geben mir Zuversicht, daß ich noch Freude finde.
(5) Doch eines freut mich mehr als aller Vogelsang: wo man den Wert der Frauen mißt, da gewann sie, meine Herrin, stets den Preis.
(10) Sie kann mir noch größere Hoffnung geben, denn sie ist schöner als eine schöne Frau: erst Anmut macht wahrhaft schön.

(2) Ich weiß, daß einer schönen Frau Anmut wahre Schönheit geben kann;
(15) doch soll man eine gute Frau sich wünschen. Anmut steht bei der Schönheit wie der Edelstein beim Gold, doch sagt, was könnte vollkommener sein,
(20) kommt ein edles Herz dazu? Sie geben einem Mann tieferen Wert und reicheres Glück. Und wer die süße Not um ihretwillen wahrhaft tragen kann, der darf sagen, daß er herzlich frohe Liebe hat.

(3) (25) Die Augen einer Frau erfreuen ein Herz, wenn sie ihm liebend begegnen. Wie muß ein Mann empfinden, dem sie noch Lieberes schenkt?

342 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
 

 
Der ist eht manger fröiden rîch, 
30 sô jenes fröide gar zergât. 30 
waz ist den fröiden ouch gelîch, 
dâ liebez herze in triuwen stât, 
in schœne, in kiusche, in reinen siten? 
swelch sælic man daz hât erstriten, 
35 ob er daz vor den frömden lobet, 35 
sô wizzet daz er niht entobet. 

4 Waz sol ein man der niht engert 4 
gewerbes umb ein reine wîp? 
si lâze in iemer ungewert, 
40 ez tiuret doch wol sînen lîp. 40 
Er tuo dur einer willen sô 
daz er den andern wol behage: 
sô tuot in ouch ein ander frô, 
ob im diu eine gar versage. 
45 Dar an gedenke ein sælic man, 45 
dâ lît vil sælde und êren an: 
swer guotes wîbes minne hât, 
der schamt sich aller missetât. 

  
XIV 1 Saget mir ieman, waz ist minne? XIV 
ich des ein teil, sô wist ichs gerne mê. 
Der sich baz denn ich versinne, 
der berihte mich durch waz si tuot sô wê. 
5 Minne ist minne, tuot si wol; 5 
tuot si wê, so enheizet si niht rehte minne. 
sus enweiz ich wie si danne heizen sol. 

2 Obe ich rehte râten künne 2 
waz diu minne sî, sô sprechet denne jâ. 
10 Minne ist zweier herzen wünne, 10 
teilent sie gelîche, sost diu minne dâ. 
Sol abe ungeteilet sîn, 
sô enkans ein herze alleine niht enthalten. 
15 owê woldest dû mir helfen, frouwe mîn! 15 

3 Frouwe, ich trage ein teil ze swære, 3 
wellest dû mir helfen, sô hilf an der zît. 
Sî abe ich dir gar unmære, 
daz sprich endelîche, sô lâz ich den strît

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 343

 

Der ist immer reich an vielen Freuden,
(30) wenn des andern Freude schon vergangen ist. Welche Freude ist so groß wie diese, wenn ein liebes, liebendes Herz Treue, Schönheit, Unschuld, Reinheit hat? Wenn ein Glücklicher ein solches Herz gewann, der ist kein Narr,
(35) wenn er’s vor den Menschen preist.

(4) Was taugt ein Mann, der sich nicht sehnt, eine reine Frau zu gewinnen? Und wenn sie auch nie sich ihm schenkt, sein Werben
(40) macht sein Leben reicher und edler. Er soll der einen zuliebe so sein und so handeln, daß er allen gefällt: so mag eine andere ihn glücklich machen, wenn die eine sich ihm versagt.
(45) Ein edler Mann soll daran denken, viel Glück und Ehre steht darin: Wem eine wahre Frau ihre Liebe gab, der schämt sich, je Böses zu tun.
 
 

Unerläßlichkeit der Gegenliebe
(XIV) This poem belongs to a group in which Walther wrestles with the concept of «Minne»; he ultimately concludes that love requires love in return, that it must be an experience shared equally, thus arriving at a new definition of courtly love. Walther takes a conventional topic, "waz ist minne," and treats it in his own, inimitable way.

(1) Sagt mir jemand, was Liebe ist? Ein wenig weiß ich von ihr, doch wüßte ich gerne mehr. Wer sie tiefer versteht als ich, der soll mir sagen, warum sie so schmerzt.
(5) Liebe ist Liebe, wenn sie wohltut; tut sie weh, dann heißt sie zu Unrecht Liebe. Doch einen andern Namen weiß ich nicht.

(2) Wenn ich richtig raten kann,
(10) was Liebe ist, so ruft: Ja! Liebe ist das Glück zweier Herzen; teilen sie beide, gleich und gleich, dann ist die Liebe da. Doch wenn sie nicht teilen, ein Herz allein kann die ganze Liebe nicht fassen.
(15) Ach, Herrin, wolltest du mir helfen!

(3) Herrin, ich trage zu schwer; wenn du mir helfen willst, dann hilf, so lang es noch Zeit ist. Doch wenn ich dir gar nichts bedeute, dann sag es mir klar und offen;
dann höre ich auf, um dich zu ringen,

344 Walther von der Vogelweide: Love Poetry

 
Unde wirde ein ledic man. 
20 dû solt aber einez rehte wizzen, frouwe, 20 
daz dich lützel ieman baz geloben kan. 

4 Kan mîn frouwe süeze siuren? 4 
wænet si daz ich ir liep gebe umbe leit? 
Sol ich si dar umbe tiuren 
25 daz siz wider kêre an mîne unwerdekeit? 25 
Sô kund ich unrehte spehen. 
wê waz sprich ich ôrenlôser ougen âne? 
den diu minne blendet, wie mac der gesehen? 
 

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 345

 

(20) und werde frei. Doch eines sollst du wissen, Herrin: kein anderer kann dich schöner rühmen.

(4) Kann meine Herrin denn Süßes bitter machen? Glaubt sie, ich gebe ihr Freude für Leid?
(25) Soll ich sie erhöhen, nur daß sie mich zum Dank erniedrigt und verhöhnt? Da müßte ich blind sein. Aber ach, was sag’ ich denn, der ich weder Augen noch Ohren habe? Wen die Liebe blendet, wie soll der sehen können!
 
 



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