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344 Walther von der Vogelweide: Love Poetry
 
XV "Nemt, frouwe, disen kranz!", XV 
alsô sprach ich zeiner wol getânen maget. 
"Sô zieret ir den tanz 
mit den schœnen bluomen, als irs ûffe traget. 
5 Het ich vil edele gesteine, 5 
daz müest ûf iur houbet, 
obe ir mirs geloubet. 
Sêt mîne triuwe, daz ichz meine." 

2 Si nam daz ich ir bôt 2 
10 einem kinde vil gelîch daz êre hât. 10 
Ir wangen wurden rôt, 
same diu rôse, dâ si bî liljen stât. 
Do erschampten sich ir liehten ougen, 
doch neic si mir schône, 
15 daz wart mir ze lône. 15 
wirt mirs iht mêr, daz trage ich tougen. 

3 "Ir sit sô wol getân, 3 
daz ich iu mîn schapel gerne geben wil, 
So ich aller beste hân. 
20 wîzer unde rôter bluomen weiz ich vil, 20 
Die stênt sô verre in jener heide; 
dâ si schône entspringent 
und die vogele singent, 
dâ suln wir si brechen beide." 

4 25 Mich dûhte daz mir nie 4 
lieber wurde, danne mir ze muote was. 
Die bluomen vielen ie

 
 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 345
 

Liebestraum

(XV) This ‘flirtatious’ poem, like the one following it, is considered one of the best of the «Mädchenlieder». The young lady is not the hard-hearted "frouwe" of the courtly love poems, but a modest girl—for the poet she is part of spring. A pity that she proves to be merely a dream. Note the symbolism of the falling blossoms and the reference to the «Tagelied» in the fourth strophe. The poem leaves some room for speculation, particularly since the version found in Manuscript E (Würzburger Sammelhandschrift—before mid-fourteenth century) omits the fourth strophe.

(1) "Nehmt, edle Dame, diesen Kranz!" sagte ich zu einem schönen Mädchen. "Dann seid Ihr die Schönste beim Tanz mit den schönen Blumen in Eurem Haar.
(5) Hätte ich edle Steine, ich wollte Euer Haupt damit schmücken, ganz gewiß. Seht doch, wie ehrlich ich’s meine."

(2) Sie nahm, was ich ihr gab;
(10) so nimmt ein schlichtes, edles Mädchen ein edles Geschenk. Ihre Wangen erröteten, da stand bei der Lilie die Rose. Sie senkte scheu ihre klaren Augen; doch anmutig neigte sie sich
(15) mir zum Dank. Schenkt sie mir mehr, das will ich still im Herzen tragen.

(3) "Ihr seid so schön, ich gebe Euch gerne meinen Kranz, den schönsten, den ich habe. (20) Ich weiß, wo viele weiße und rote Blumen stehen, weit fort auf jener Heide; sie blühen dort so schön, und die Vögel singen, da wollen wir beide sie pflücken."

(4) (25) Mir war, als sei ich noch nie so glücklich gewesen. Um uns fielen immer und immer Blüten

346 Walther von der Vogelweide: Love Poetry

 
von dem boume bî uns nider an daz gras. 
Seht, dô muost ich von fröiden lachen. 
30 do ich sô wünneclîche 30 
was in troume rîche, 
dô taget ez und muos ich wachen. 

5 Mir ist von ir geschehen, 5 
daz ich diesen sumer allen meiden muoz 
35 vast under dougen sehen: 35 
lîhte wirt mir einiu, so ist mir sorgen buoz. 
Waz obe si gêt an disem tanze? 
frouwe, dur iur güete 
rucket ûf die hüete. 
40 Owê gesæhe ichs under kranze! 40 

  
XVI 1 "Under der linden an der heide, XVI 1 
dâ unser zweier bette was, 
Dâ mugt ir vinden schône beide 
gebrochen bluomen unde gras. 
5 Vor dem walde in einem tal, 5 
tandaradei, 
schône sanc diu nahtegal. 

2 Ich kam gegangen zuo der ouwe, 2 
dô was mîn friedel komen ê. 
10 Dâ wart ich enpfangen: ‘hêre frouwe!’, 10 
daz ich bin sælic iemer mê. 
Kuster mich? wol tûsentstunt, 
tandaradei, 
seht wie rôt mir ist der munt. 

3 15 Dô het er gemachet alsô rîche 3 
von bluomen eine bettestat. 
Des wirt noch gelachet inneclîche, 
kumt iemen an daz selbe pfat. 
Bî den rôsen er wol mac, 
20 tandaradei, 20 
merken wâ mirz houbet lac.

 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry 347

 

vom Baum ins Gras. Da mußte ich lachen vor Glück. Als ich im Traum
(30) so ganz vor Freude selig war, da kam der Tag, und ich erwachte.

(5) Ihretwegen muß ich diesen Sommer allen Mädchen nun
(35) tief in die Augen sehen; vielleicht finde ich die Rechte, dann bin ich meinen Kummer los. Ob sie gar mittanzt bei diesem Tanze? Ihr Damen, seid so lieb, rückt Eure Hüte ein wenig aus der Stirn.
(40) Ach, fände ich sie doch unter dem Kranz!

 
 
 

Unter der Linde
(XVI) This charming poem is a fine example of art concealing art. It is ironical in its treatment of a love affair recounted by a country girl, who is clearly overwhelmed because she has found favor with a person of higher status and is given the kind of courtesies normally extended only to courtly ladies. Technically, this is one of the few «Frauenstrophen» which has the distinct overtones of the French «pastourelle», where a knight meets a peasant girl and makes love to her, except that here we are privy only to the sweet memories of the girl. There is no doubt that poems such as this reflect the local tradition of the early songs composed in what is now Austria.

(1) "Unter der Linde auf der Heide, wo unser beider Lager war, da könnt ihr Blumen und Gras liebevoll zusammengetragen finden.
(5) Am Waldrand im Tal, tandaradei, sang süß die Nachtigall.

(2) Ich kam zu der Wiese, da war mein Liebster schon vor mir gekommen.
(10) Da wurde ich so empfangen—Madonna!—, daß ich immer und immer überglücklich bin. Ob er mich küßte? Tausendmal! Tandaradei, seht, wie rot mein Mund ist.

(3) (15) Da hatte er aus Blumen ein so prächtiges Bett gemacht. Darüber lacht noch von Herzen, wer dort vorbeikommt. An den Rosen kann er noch sehen,
(20) tandaradei, wo mein Kopf lag.

 

348 Walther von der Vogelweide: Love Poetry/Reflective Poetry
 

 
4 Daz er bî mir læge, wessez iemen 4 
(nu enwelle got!), sô schamt ich mich. 
Wes er mit mir pflæge, niemer niemen 
25 bevinde daz wan er und ich 25 
und ein kleinez vogellîn, 
tandaradei, 
daz mac wol getriuwe sîn."
 
 

Reflective Poetry
 

 
XVII Dêswâr, Reimâr, dû riuwes mich XVII 
michels harter danne ich dich, 
ob dû lebtes und ich wær erstorben. 
Ich wilz bî mînen triuwen sagen, 
5 dich selben wolt ich lützel klagen: 5 
ich klage dîn edelen kunst, daz sist verdorben. 
Dû kundest al der werlte fröide mêren, 
sô duz ze guoten dingen woltes kêren: 
mich riuwet dîn wol redender munt und dîn vil süezer sanc, 
10 daz die verdorben sind bî mînen zîten. 10 
daz dû niht eine wîle mohtest bîten! 
sô leiste ich dir geselleschaft: mîn singen ist niht lanc. 
dîn sêle müeze wol gevarn, und habe dîn zunge danc.
 
Walther von der Vogelweide: Love Poetry/Reflective Poetry 349

 

(4) Wüßte jemand, daß er bei mir lag—Gott bewahre—, dann würde ich mich schämen. Was er mit mir tat, das soll
(25) kein Mensch wissen, nur er und ich, und ein kleines Vögelchen, tandaradei, das wird gewiß nichts verraten."
 

Reflective Poetry
Auf Reinmars Tod
 (XVII) Although there is no doubt that the three «Reichsprüche» are equally reflective, they are in a category all their own because of the universal subject matter they address, as well as the different melody—the «Reichston», which he employs in no other poem—used for them. This poem is a necrologue on the occasion of Reinmar von Hagenau’s death in 1205. There can be little doubt that Reinmar was Walther’s teacher, formally or informally, when both were in Vienna at the court of the Babenbergs. This and a few other poems may indicate that there was some rivalry between them—a rivalry that was presumably rekindled when Walther was more or less forced to leave Vienna, and Reinmar was retained. The date of this elegy is uncertain—perhaps 1208 to 1210. There is a possibility that Walther had hoped to succeed Reinmar as «poeta laureatus», that is, as court poet in Vienna. If he did, he was disappointed. The poem is written in the «Leopoldston», a melody used in poems addressed to Duke Leopold of Babenberg. It is interesting to note that Walther clearly distinguishes between Reinmar the man and Reinmar the artist, particularly here and in the poem "Owê daz wîsheit unde jugent," where Walther refers to Reinmar’s skills as great art—"guote kunst"—, just as he calls it precious ("edele")‚ in this poem.

Es ist wahr, Reinmar, ich betrauere dich selbst viel mehr als du mich, wenn du [noch] lebtest und ich gestorben wäre. Ich will ganz aufrichtig sein;
(5) Um dich selbst will ich nicht so sehr klagen, ich beklage, daß deine edle Kunst verloren ist. Du konntest alle Welt froher machen, wenn du dich auf die rechten Gegenstände verlegtest. Ich traure um deine poetische Sprache und darum, daß deine süßen Melodien
(10) zu meinen Lebzeiten verstummt sind. Hättest du nicht noch eine Weile warten können! Dann hätte ich dir Gesellschaft geleistet, [auch] mein Singen wird nicht mehr lange währen. Möge es deiner Seele wohl ergehen und hab Dank für dein Dichten!

 

Elegie

(XVIII) Walther’s songs are usually written in forms borrowed ultimately from French and Provençal, but this poem is in a metrical form whose lines closely approximate those of Der von Kürenberg and the Nibelungenlied. Walther probably intended to impart a heroic and archaic tone to this particular work and also, perhaps, a purely German one. The poem is frequently called Walther’s ‘Elegy’ because of its general tone of sadness and remembrance of things past. Certainly it incorporates many formal expressions of the decay of nobility and the emptiness of life—the «laudatio temporis acti», or praise of life as it used to be when the poet was young, the ‘life-is-a-dream’ motif, the degeneracy of modern youth, the bitterness of life even in its sweetest moments. But the poem is far from being a mere collection of commonplaces. It is a deeply felt statement that the world, as the poet had known it in his youth, is gone forever, and with it, ideals of behavior and conduct which graced life at court. He was right. The world of Hohenstaufen chivalry was gone. Walther’s imagery is very appropriate. Water, usually the image of change and impermanence, is the one stable thing left. The purity and beauty of the woods and fields (which appear in so many of his love poems as figures of ideal beauty) have been ravaged by man. Most of all, however, he is horrified at the behavior of young men who act like peasants.

350 Walther von der Vogelweide: Reflective Poetry

 
XVIII 1Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr! XVIII 1 
Ist mir mîn leben getroumet oder ist ez wâr? 
Daz ich ie wânde ez wære, was daz allez iht? 
Dar nâch hân ich geslâfen und enweiz es niht. 
5 Nû bin ich erwachet, und ist mir unbekant 5 
daz mir hie vor was kündic als mîn ander hant. 
Liut unde lant, dar inn ich von kinde bin erzogen, 
die sint mir worden frömde reht als ez sî gelogen. 
Die mîne gespilen wâren, die sint træge unt alt. 
10 Bereitet ist daz velt, verhouwen ist der walt. 10 
Wan daz daz wazzer fliuzet als ez wîlent flôz, 
für wâr mîn ungelücke wânde ich wurde grôz. 
Mich grüezet maneger trâge, der mich bekande ê wol; 
diu welt ist allenthalben ungenâden vol. 
15 Als ich gedenke an manegen wünneclîchen tac, 15 
die mir sint enpfallen als in daz mer ein slac, 
iemer mêre owê. 

2 Owê wie jæmerlîche junge liute tuont, 2 
den ê vil hovelîchen ir gemüete stuont! 
20 Die kunnen niuwan sorgen, owê wie tuont si sô? 20 
Swar ich zer werlte kêre, dâ ist nieman frô. 
Tanzen, lachen, singen zergât mit sorgen gar: 
nie kristenman gesæhe sô jæmerlîche schar. 
Nû merket wie den frouwen ir gebende stât; 
25 jâ tragent die stolzen ritter dörpellîche wât. 25 
Uns sint unsenfte brieve her von Rôme komen, 
uns ist erloubet trûren und fröide gar benomen. 
Daz müet mich inneclîchen (wir lebten ê vil wol), 
daz ich nû für mîn lachen weinen kiesen sol. 
30 Die vogel in der wilde betrüebet unser klage: 30 
waz wunders ist ob ich dâ von an fröiden gar verzage? 
Wê waz spriche ich tumber durch mînen bœsen zorn! 
Swer dirre wünne volget, hât jene dort verlorn, 
iemer mêr owê. 

3 35 Owê wie uns mit süezen dingen ist vergeben! 35 
Ich sihe die bittern gallen in dem honege sweben. 
Diu Welt ist ûzen schœne, wîz, grüen unde rôt, 
und innân swarzer varwe, vinster sam der tôt. 
Swen si nû habe verleitet, der schouwe sînen trôst, 
40 er wirt mit swacher buoze grôzer sünde erlôst. 40

 
Walther von der Vogelweide: Reflective Poetry 351

(1) O weh, wohin sind alle meine Jahre entschwunden? Habe ich mein Leben geträumt, oder ist es Wirklichkeit? Was ich je für wirklich gehalten habe, war das [wirklich] etwas? Demnach habe ich geschlafen und weiß es nicht.
(5) Nun bin ich aufgewacht und mir ist unbekannt, was mir früher so bekannt war wie eine meiner Hände. Leute und Land, wo ich von Kind an erzogen worden bin, die sind mir so fremd geworden, als ob es gar nicht wahr gewesen sei. Die meine Spielgefährten waren, sind träge und alt.
(10) Aus den Wiesen sind Äcker geworden, der Wald ist abgeholzt; flösse nicht das Wasser noch so, wie es damals floß, wahrhaftig, ich glaube, mein Unglück würde übermächtig. Mancher grüßt mich lässig,11 der mich früher recht gut gekannt hat. Die Welt ist allenthalben hart und trostlos.
(15) Wenn ich mich an die vielen herrlichen Tage erinnere, die mir zerronnen sind wie ein Schlag ins Meer, [dann] weh und immer weh!

(2) O weh, wie kläglich führen sich die jungen Leute auf, die einst so heiteren Gemütes waren!
(20) Die können heute nichts anderes als sich grämen. O weh, warum führen sie sich so auf? Wohin ich mich auf dieser Welt wende, niemand ist heiter. Tanzen, Singen geht vor lauter Sorgen verloren, nie hat ein Christenmensch so klägliche Zeiten gesehen. Seht auch an, was die Frauen für einen Kopfputz tragen!
(25) Die edlen Ritter tragen Bauernkittel. Wir haben ungute Briefe aus Rom bekommen,12wir haben die Erlaubnis zu trauern und das Verbot, uns zu freuen, erhalten. Es tut mir unsäglich leid (früher lebten wir so gut), daß ich jetzt mein Lachen gegen Weinen eintauschen muß.
(30) [Selbst] die wilden Vögel betrübt unsere Klage; ist es da ein Wunder, wenn ich darüber ganz verzweifelt bin? Was aber rede ich Tor da in meinem schlimmen Zorn? Wer der [irdischen] Freude anhängt, hat die im Jenseits verloren. Weh und immer weh!

(3) (35) O weh, wie sind wir mit Annehmlichkeiten vergiftet worden! Ich sehe die bittere Galle den Honig durchziehen. Die Welt ist von außen schön, weiß, grün und rot und von innen schwarz, finster wie der Tod. Der, den sie verführt hat, sehe zu, was ihn retten kann:
(40) Er wird durch geringe Buße von großer Sünde erlöst.

352 Walther von der Vogelweide: Reflective Poetry 

Veldecke

 

 
Dar an gedenket, ritter; ez ist iuwer dinc. 
Ir traget die liehten helme und manegen herten rinc, 
dar zuo die vesten schilte und diu gewîhten swert. 
Wolte got, wan wære ich der segenunge wert! 
45 Sô wolte ich nôtic armman verdienen rîchen solt. 45 
Joch meine ich niht die huoben noch der hêrren golt: 
ich wolte sælden krône êweclîchen tragen, 
die mohte ein soldenære mit sîme sper bejagen. 
Möht ich die lieben reise gevaren über sê, 
50 sô wolte ich denne singen wol und niemer mêr owê, 50 
niemer mêr owê.
Meister Sigeher [Der wandernder Dichter erhaelt einen Pelzmantel]
Walther von der Vogelweide: Reflective Poetry 353

 

Denkt daran, ihr Ritter, euch geht es an! Ihr tragt die blitzenden Helme und die harten Panzer, auch die festen Schilde und die geweihten Schwerter. Wollte Gott, ich wäre des Sieges würdig!
(45) Dann würde ich Armer reichen Lohn verdienen. Ich meine jedoch weder die Ländereien noch das Gold der Herren. Ich würde selbst auf ewig jene Krone tragen, die ein Söldner13mit seinem Speer erkämpfen kann. Könnte ich die segensreiche Reise über das Meer antreten,
(50) dann wollte ich "Heil" singen und niemals mehr "Weh".
 

"Bauern bei der Feldarbeit" (Vergil-Ausgabe, Strassburg 1502)
 


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