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Wernher der Gärtner 399Wernher der Gärtner(fl.c.1250-1280)HelmbrechtWe know nothing of the author of this «Märe» except what he tells of himself in the poem. His name, Gartenære, may suggest that Wernher was a travelling poet who made a living by begging (garten = to beg). He has considerable learning and is acquainted with the work of Wolfram von Eschenbach and other courtly writers. He also knows the society, including courtly society, of his own time, and the poem shows an intimate knowledge of the area of the Bavarian-Austrian Inn district where the events of the poem take place. The description of the area and of the events is so vivid that some critics have tried to show that Wernher was recounting an occurrence of which he had first-hand knowledge. This is unlikely in the narrow sense, but the poem undoubtedly reflects faithfully the social mores of the time. The work was written at a time when the feudal order had suddenly been plunged into a deep crisis following the end of the Hohenstaufen reign. A previously well-defined and tightly organized society came apart at the seams with the advent of new classes, the ever-growing power of the cities and their form of economy, and a rise in the number of «Raubritter», or outlaw knights. In essence, Helmbrecht is a sermon in verse («Verspredigt»), based on the parable of the prodigal son, but with quite a different ending. It is a warning both to parents and children of the moral duty of a father to be ruthless in training his son in good conduct, and of a son to follow dutifully the path his father prescribes and not to aspire to a rank in society which is unsuited for him. In the process, the poem criticizes sharply the decline in standards of conduct among the nobility and the increasing self-assertiveness of the peasants (cf. ll. 553ff.), shown by a desire for material display.
Although there are several passages of considerable comic power, in particular the one in which young Helmbrecht shows off his newly acquired capabilities in courtly manners and foreign languages—the mutilation of which only an educated audience would appreciate—, the poem as a whole is quite serious, and the doctrine it preaches, that Christian duty means stern punishment even of one’s dearest kin, is graphically portrayed in the horrid fate meted out to young Helmbrecht. The work shows Franciscan influence in its use of the «exemplum» ("bîspel"), or story to teach a moral. Although the amplification of the «exemplum» makes the work an excellent poem, it nevertheless remains an «exemplum». The work is written in the usual narrative form—rhyming four-beat lines. The brief prologue gives various reasons for writing poetry; the poet then speaks of the narrative he is going to tell: a personal experience, about a boy with lavish blond hair and an elaborate cap—both of which contemporary customs and dress codes forbade—, and what happened to him. Wernher’s description of the boy’s cap is an obvious mockery of the elaborate descriptions found in courtly romances. The resemblance to Homer’s portrayal of the shield of Achilles is almost certainly accidental. A more likely source is the description of the saddle in the Latin poem "Phyllis and Flora." The subjects depicted on the cap are first those of the romances of antiquity («matière de Rome»), then those of the «chansons de geste» material («matière de France»), all amounting to an attempt by young Helmbrecht to legitimize his pretended knighthood (cf. ll.303ff.)
400 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
Einer seit waz er gesiht,
der ander seit waz im geschiht, der dritte von minne, der vierde von gewinne, 5 der fünfte von grôzem guote, 5 der sehste von hôhem muote: hie wil ich sagen waz mir geschach, daz ich mit mînen ougen sach. Ich sach, deist sicherlîchen wâr, 10 eins gebûren sun, der truoc ein hâr, 10 daz was reide unde val; ob der ahsel hin ze tal mit lenge ez volleclîchen gie. in eine hûben er ez vie, 15 diu was von bilden wæhe. 15 ich wæne ieman gesæhe sô manegen vogel ûf hûben: siteche unde tûben die wâren al dar ûf genât. 20 Nû hśrt wiez
umbe die hûben stât. 20
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Wernher der Gärtner: Helmbrecht 401
Einer erzählt von dem, was er gesehen hat, / ein zweiter von dem, was ihm widerfahren ist, / der dritte von Liebe, / der vierte von Handel und Wandel,
(5) der fünfte von Reichtum, / der sechste von hohen Idealen. / Hier will ich erzählen, was ich selbst erlebt / und mit eigenen Augen gesehen habe. / Ich habe—das ist absolut zuverlässig!—
(10) einen Bauernsohn gekannt, / dessen lockiges blondes Haar / über die Schulter / lang herabfiel. / Diese Haarpracht bändigte er in eine
(15) mit Bildern kunstreich verzierte Kappe. / Ich glaube: Niemand hat bisher / so viele Vögel auf einer Kappe abgebildet gesehen: / Papageien und Tauben / waren darauf gestickt.
(20) Hört nun, wie es mit dieser Kappe bestellt war. / Ein Gutspächter hieß Helmbrecht. / Dessen Sohn ist der Held / dieser Geschichte.1 / Der Junge hieß ebenso wie sein Vater.(25) Beide hießen sie Helmbrecht. / Knapp und ohne Umschweife / will ich euch berichten, / was auf der Kappe / noch für wundersame Dinge dargestellt waren
(30) / (diese Geschichte ist nicht eitel Phantasie; / ich berichte es nicht bloß so auf Verdacht hin): / Hinten von den Ringellöckchen im Nacken / bis zum Scheitel / mitten auf dem Kopf
(35) war der Mittelstreifen der Kappe mit Vögeln bestickt; / die wirkten als wären sie eben / aus dem Spessart herangeflogen.2 / Noch niemals hat ein Bauernschädel / eine so herrliche Kopfbedeckung getragen
(40) wie hier Helmbrecht. / Diesem Bauerntölpel / war auf die rechte Seite
402 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
ûf die hûben genât—
Welt ir nû hśren
waz dâ stât?—
Welt ir nû hśren
mê
Welt ir nû hśren
waz hie stê
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Wernher der Gärtner: Helmbrecht 403
der Kappe gestickt—
Wollt ihr wirklich hören, was darauf gestickt war?—
(45) wie Troja belagert wurde, / nachdem Paris in seiner Vermessenheit3 / dem König von Griechenland seine Frau entführt hatte, / die er wie das eigene Leben liebte, / und wie Troja erobert wurde(50) und von dort allein Äneas / mit den Schiffen aufs Meer entkam / und wie die Türme / und Steinmauern geschleift wurden. / Schlimm, daß überhaupt jemals ein Bauer
(55) eine solche Kappe hat tragen können, / von der es so viel zu erzählen gibt!
Wollt ihr nun noch weiter hören, / womit die andere Seite der Kappe / in Seide bestickt war?
(60) Die Geschichte hält euch gewiß nicht zum Narren: / Links war zu sehen, / wie vier Kampfgefährten: / König Karl und Roland, / Turpin und Olivier,4
(65) was die für Heldentaten im grimmigen Kampf / mit den Heiden vollbrachten: / Die Provençe und das Arelat5 / hat bekanntlich König Karl / durch Tapferkeit und durch Klugheit unterworfen,
(70) ebenso auch die Landschaft Galizien,6 / in der vorher nur Heiden gelebt hatten.
Wollt ihr nun auch weiter hören, was hinten auf der Kappe / von Schnalle zu Schnalle7 zu sehen war / (es ist wirklich wahr, was ich euch vortrage!)
(75) in ihrer Breite von einem Ohr zum andern? / Von den Söhnen der Königin Helche,8 / wie die einst im Sturm auf Ravenna / ihr Leben lassen mußten, / als Held Witege,
(80) der kampfwütige Haudegen,9 / sie und Diether von Bern erschlug. / Auch könnt ihr gespannt noch weiter hören, / was dieser Tölpel und Tor404 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
truoc ûf sîner hûben ouch.
85 Ez hêt der gotes
tumbe 85
Als si dô dem stolzen
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Wernher der Gärtner: Helmbrecht 405
sonst noch auf seiner Kappe zur Schau trug.
(85) Dieser gottverlassene Narr hatte / vorn am Saum ringsherum / vom rechten Ohr bis hin / zum linken (jedenfalls ist mir das / als vollkommen glaubhaft versichert worden;
(90) hört nur, wie es weitergeht)—/ mit Vergnügen konnte man betrachten, / wie von Rittern und adligen Damen— / keiner war dort übergangen—, / von Edelfräulein und Knappen10(95) vorn am Saum eine Tanzszene / mit glänzender Seide aufgestickt war. / Zwischen zwei Edelfrauen stand, / wie man noch heute tanzt, / ein Ritter und hielt sie an den Händen.
(100) Am anderen Ende / schritt ein Knappe zwischen zwei Edelfräulein / und hielt sie an den Händen gefaßt. / Auch Musikanten standen dabei.
There follows a description of how and by whom young Helmbrecht’s cap and dress were sewed: by a runaway nun.
Eine lebenslustige Nonne nämlich hatte sie genäht.11
(110) Weil ihr ganzes Sinnen und Trachten dem Hofleben galt, / war sie aus ihrer Klosterzelle entwichen.Helmbrecht’s foppish dress is grossly overelaborate, with decorations unsuited for a peasant’s station. The author wishes Neidhart von Reuental were still alive so that he could compose a song about it:
Neidhart von Reuental, wenn der noch lebte, / dem hätte Gott die Begabung verliehen, / daß er es viel schöner als Lied vorzutragen gewußt hätte
(220) als ich bloß mit Worten. Hört nur: / Die Mutter hatte viele Hühner und Eier verkaufen müssen, / bevor sie ihm / noch Hosen und wunderschönes Schuhzeug hatte kaufen können12
Als sie nun diesen eingebildeten Laffen
(225) so eingekleidet hatte, / sagte er: "Liebster Vater, / mich zieht’s jetzt mit Gewalt an den Hof. / Dazu habe ich nun besonders deine Hilfe nötig. / Mutter und(230) Schwester haben mich so mit Geschenken überhäuft,
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daz ich in alle mîne tage
immer holdez herze trage." Dem vater was daz ungemach. zuo dem sune er in spotte sprach: 235 "ich gibe dir zuo der wæte 235 einen hengest, der ist dræte und der wol springe zuine und graben, den soltû dâ ze hove haben, und der lange wege wol loufe. 240 wie gerne ich dir den koufe, 240 ob ich in veile vinde! [...] nû volge mîner lêre, des hâstu frum und êre; wan selten im gelinget, 290 der wider sînen orden ringet. 290 dîn ordenunge ist der phluoc. dû vindest hoveliute genuoc, swelhez ende dû kêrest. dîn laster dû gemêrest." [...] Er sprach: "Vater, und
wirde ich geriten,
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(230) daß ich, solange ich lebe, / jeden Tag / immer in Liebe an sie denken werde." / Der Vater, dem das gar nicht recht war, / sagte spöttisch zu seinem Sohn:
(235) "Selbstverständlich werde ich dir zu dieser Ausstattung / auch noch einen flinken Hengst schenken,13 / der sicher über Zäune und Gräben setzt—/ den mußt du ja bei Hofe haben!—/ und der lange Strecken mühelos zurücklegt:(240) ich brenne darauf, ihn dir zu kaufen, / wenn ich ihn nur einigermaßen preiswert bekommen kann!
Although he is willing to help, the father attempts to persuade his son to stay on the farm, but he refuses to listen.
Folge doch meinem Rat: / davon wirst du Nutzen haben und Ansehen gewinnen; / denn niemals hat der Glück,
(290) der sich gegen seinen Stand auflehnt. / Du bist nun einmal für den Pflug bestimmt. / Hofleute findest du in Hülle und Fülle. / Wohin du auch gehst, / du wirst deine Schande nur noch vergrößern."
[...]
Der Junge erwiderte: "Vater, wenn ich nur erst ein Pferd hätte,
(300) dann traue ich mir zu, im höfischen Benehmen / allezeit ebenso erfolgreich zu sein / wie die, die immer am Hof gelebt haben. / Jeder, der die prächtige Kappe / auf meinem Kopf sieht,(305) der würde sicherlich tausend Eide schwören, / daß ich dir niemals / die Ochsen angetrieben / oder mit dem Pflug Furchen gezogen hätte. / Wenn ich die Kleider anlege,
(310) die / Mutter und Schwester / mir gestern als Ausstattung geschenkt haben, / so sehe ich ganz gewiß / überhaupt nicht mehr aus,
(315) als ob ich jemals / Korn auf der Tenne / mit dem Flegel ausgedroschen / oder jemals Pfosten eingeschlagen hätte. / Wenn ich mir erst Füße und Beine
408 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
320 hân gezieret mit den zwein, 320
hosen und schuohen von korrûn, ob ich ie geziunte zûn dir oder ander iemen, des meldet mich niemen. 325 gîst dû mir den meidem, 325 meier Ruoprehte zeinem eidem bin ich immer mê verzigen: ich wil mich niht durch wîp verligen." Er
sprach: "sun, eine wîle dage
Der vater sprach: "nu
vrâge,
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(320) mit diesen Hosen und Schuhen / von feinstem Ziegenleder ausstaffiert habe, / dann kann mir niemand mehr nachsagen, / ich hätte dir oder irgendeinem andern / jemals Zäune geflochten.
(325) Wenn du mir den Hengst schenkst, / so kann ich gut und gern darauf verzichten, / Pächter Ruprechts Schwiegersohn zu werden: / auf keinen Fall will ich um einer Frau willen herumlungern."14Der Vater antwortete: "Junge, schweig einen Augenblick
(330) und hör zu, was ich dir sage. / Wer eine gute Lehre befolgt, / der hat Nutzen und Ansehen davon. / Die Kinder, die den Rat ihres Vaters / allezeit in den Wind schlagen,(335) die enden zuletzt in Schande / und Verderben. / Wenn du dich aber unbedingt / den hochgeborenen Rittern / zugesellen und es ihnen gleichtun willst,
(340) so wird es dir mißlingen; / sie werden dich deswegen nur anfeinden."
The father sells some of his stock to buy the horse but still attempts to convince his son to stay, only to be met with scorn not merely of peasant life in general but of his own wisdom and his ‘preaching.’ Young Helmbrecht is thus guilty of pride and disobedience, vices which his doting mother and sister Gotelint have encouraged. The father then relates to him the dreams (four in the B version of the «Märe») he had.
"Lieber Junge,nun bestell das Feld. / Du kannst mir glauben: Alle Edelfrauen
(555) verdanken der Bauernarbeit ihre Schönheit, / und alle Könige verdanken allein / der Bauernarbeit ihre Krone. / Denn wie vornehm einer auch ist—/ sein Stolz wäre nichtig,(560) wenn es die Bauernarbeit nicht gäbe.
[...]
Nun befrage—laß dich’s nicht verdrießen—, / ringsherum weise Männer,
(580) was der Traum bedeutet, den ich geträumt habe. / Du hieltest zwei Lichter in der Hand, / die brannten so hell, daß sie durchs ganze Land / mit ihrem Schein leuchteten. / Mein lieber Junge,(585) dasselbe habe ich im vorigen Jahr von einem Mann geträumt, / den ich in diesem habe blind herumtappen sehen."
410 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
Er sprach: "vater, daz
ist guot.
ich gelâze nimmer mînen muot umb sus getâniu mære; 590 ein zage ich danne wære." 590 In enhalf et niht sîn lêre. er sprach: "mir troumte mêre: ein fuoz dir ûf der erde gie, dâ stüende dû mit dem andern knie 595 hôhe ûf einem stocke; 595 dir ragete ûz dem rocke einez als ein ahsendrum. sol dir der troum wesen frum, oder waz er bediute, 600 des frâge wîse liute." 600 [...] Er sprach: "sun, noch troumte mir ein troum, den wil ich sagen dir. 605 dû soldest fliegen hôhe 605 über welde und über lôhe: ein vettich wart dir versniten: dô wart dîn vliegen vermiten. sol dir der troum guot sîn? 610 owê hende, füeze und ougen dîn!" 610 [...] 635 "Ob dir nû, vater, wizze Krist, 635 troumte allez daz der ist, beide übel unde guot, ich gelâze nimmer mînen muot hinnen unz an mînen tôt. 640 mir wart der verte nie sô nôt. 640 vater, got der hüete dîn und ouch der lieben muoter mîn; iuwer beider kindelîn diu müezen immer sælec sîn. 645 got habe uns alle in sîner phlege." 645 dâ mite reit er ûf die wege. urloup nam er zuo dem vater; hin drâte er über den gater. [...] Uf eine burc kom er geriten. dâ was der wirt in den siten, 655 daz er urliuges wielt 655 |
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Der Junge sagte: "Vater, schön und gut. / Ich jedenfalls werde niemals meinen Vorsatz / wegen einer solchen Traumgeschichte aufgeben;
(590) dann wäre ich ja wohl ein elender Feigling!"
So hatten dem Vater diese Worte nichts genutzt. / Trotzdem fuhr er fort: "Weiter habe ich geträumt: / Mit dem einen Fuß gingst du auf der Erde, / während du mit dem andern Knie
(595) hoch auf einem Stelzbein15standst; aus dem Ärmel ragte dir / so etwas wie ein Achsenstumpf16 heraus. / Wenn dir dieser Traum etwas nützen soll, so frage nur weise Männer danach,
(600) was er bedeutet.[...]
"Junge, dann habe ich / noch einen Traum geträumt; auch den will ich dir noch erzählen.
(605) Es war, als wolltest du hoch / über Wald und Busch hinwegfliegen; / doch weil dir ein Flügel gestutzt worden war, / konntest du nicht mehr fliegen. / Sollte auch dieser Traum Gutes17für dich bedeuten?(610) Jammer und Weh um deine Hände, Füße und Augen!"
[...]
(635) "Vater, in Christi Namen, wenn du auch / von allem geträumt hättest, / was es überhaupt Schlimmes und Gutes gibt, / so werde ich trotzdem meinen Entschluß / bis an meinen Tod nicht ändern.
(640) Noch nie ist es mir so notwendig erschienen, von hier fortzugehen, wie jetzt. / Vater, Gott befohlen, / und auch du, liebste Mutter. / All euren Kindern möge es immer glücklich ergehen.
(645) Gott möge uns allesamt behüten!" / Damit lenkte er auf die Straße, verabschiedete sich vom Vater / und setzte über den Zaun.
[...]
Schließlich ritt er auf eine Burg. / Weil der Burgherr gerade
(655) in Fehde lag,
412 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
und ouch vil gerne die behielt,
die wol getorsten rîten und mit den vînden strîten. dâ wart der knabe gesinde. 660 an roube wart er sô swinde, 660 swaz ein ander ligen liez, in sînen sac erz allez stiez. er nam ez allez gemeine: dehein roup was im ze kleine, 665 im was ouch niht ze grôz. 665 ez wære rûch, ez wære blôz, ez wære krump, es wære sleht, daz nam allez Helmbreht, des meier Helmbrehtes kint. 670 er nam daz ros, er nam daz rint, 670 er lie dem man niht leffels wert; er nam wambîs unde swert, er nam mandel unde roc, er nam die geiz, er nam den boc, 675 er nam die ou, er nam den wider: 675 daz galt er mit der hiute sider. röckel, pheit dem wîbe zôch er ab dem lîbe, ir kürsen und ir mandel: 680 des hêt er gerne wandel 680 gehabt, dô in der scherge machete zam, daz er wîben ie genam: daz ist sicherlîchen wâr. [...] dô sprach er zuo der swester: "gratia vester!" hin für was den jungen gâch, die alten zugen hinden nâch; 725 si enphiengen in beide âne zal. 725 zem vater sprach er: "dê ûs sal!" zuo der muoter sprach er sâ bêheimisch: "dobra ytra!" si sâhen beide einander an, |
Wernher der Gärtner: Helmbrecht 413
war es ihm hoch willkommen, die bei sich zu behalten, / die mutig im Sattel saßen / und sich tapfer mit Gegnern herumschlugen. / Dort trat der Bursche in Dienst.18(660) Aufs Beutemachen verstand er sich so großartig, / daß er alles, was ein anderer verschmähte, / in seine Satteltasche stopfte. / Er raffte ohne Ausnahme alles zusammen: / keine Beute war ihm zu gering;
(665) natürlich war ihm auch nichts zu schwer. / Ob struppig oder glatt, / ob krumm oder gerade, / alles raffte Helmbrecht zusammen, / der Sohn des Pächters Helmbrecht.
(670) Er raubte Pferde, er raubte Rinder, / er ließ niemandem auch nur einen Pappenstiel, / er raubte Kettenpanzer und Schwerter, / er raubte Mäntel und Röcke, / er raubte Ziegen, er raubte Böcke,
(675) er raubte Schafe, er raubte Widder—/ das hat er später mit Haut und Haar büßen müssen. / Rock und Hemd riß er / den Frauen vom Leibe, / den Pelz und den Mantel—
(680) als ihn der Büttel kirre machte,19 / hätte er am liebsten ungeschehen gemacht, / daß er Frauen jemals etwas geraubt hatte: / das ist die reine Wahrheit!
After a year of successful plundering he decides to pay a visit to his parents’ home. Although his family recognizes him, he speaks to them in such tortured phrases from many languages that they doubt the evidence of their eyes and wonder whether it is indeed Helmbrecht come home.
Da sagte er zur Schwester: / "Gratia vestra!"20/ Die Jungen stürmten vorneweg, / die Alten folgten langsamer hinterdrein;
(725) die Begrüßung nahm überhaupt kein Ende. / Zum Vater sagte er : "Dieu vous salue!"21Zur Mutter sagte er sogleich / auf tschechisch: "Dobrí jitro!"22/ Verdutzt sahen sich die beiden an,
414 Wernher der Gärtner: Helmbrecht
730 beide daz wîp und der man. 730
diu hûsfrou sprach: "herre wirt, wir sîn der sinne gar verirt. er ist niht unser beider kint: er ist ein Bêheim oder ein Wint." 735 der vater sprach: "er ist ein Walh. 735 mîn sun, den ich got bevalh, der ist ez niht sicherlîche und ist im doch gelîche." dô sprach sîn swester Gotelint: 740 "er ist niht iuwer beider kint. 740 er antwurt mir in der latîn: er mac wol ein phaffe sîn." "entriuwen", sprach der vrîman, "als ich von im vernomen hân, 745 sô ist er ze Sahsen 745 oder ze Brâbant gewahsen. er sprach "liebe sśte kindekîn": er mac wol ein Sahse sîn." Der wirt sprach mit rede
sleht:
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Wernher der Gärtner: Helmbrecht 415
(730) Mann und Frau. / Die Bäuerin sagte: "Vater, wir können nicht mehr bei Sinnen sein. / Er ist gar nicht unser Sohn; / er ist vielmehr ein Tscheche oder ein Slowene."23
(735) Der Vater sagte: "Er ist ein Franzose.24 / Mein Sohn, den ich Gott befohlen hatte, / der ist es sicherlich nicht, / wenn er ihm auch aufs Haar gleicht." / Darauf sagte seine Schwester Gotelint:(740) "Euer Sohn ist er bestimmt nicht, / denn er begrüßte mich auf lateinisch: / er kann nur ein Geistlicher sein." / "Wahrhaftig", sagte der Großknecht, / "wie ich ihn habe reden hören,
(745) so ist er in Niedersachsen / oder in Brabant großgeworden. / Er sagte: ‘Leiwe seute Kinderkens’:25Er kann nur ein Niedersachse sein."
Der Bauer sagte schlicht und einfach:
(750) "Bist du wirklich mein Sohn Helmbrecht, / dann überzeugst du mich davon dadurch, / daß du nur ein einziges Wort nach unserer Weise sagst, / so wie unsere Vorfahren geredet haben, / so daß ich’s verstehen kann.
(755) Du sagst immer: ‘Dieu vous salue’, / so daß ich nicht weiß, was es bedeuten soll. / Ehre deine Mutter und mich, / das haben wir seit eh und je um dich verdient: / sage nur ein einziges deutsches Wort.
(760) Dann werde ich dir deinen Hengst putzen, / und zwar ich selber und nicht mein Knecht, / liebster Junge Helmbrecht; / möchtest du nur immer glücklich sein!" / (Der Sohn:) "Ei, wat snackt ju för Takeltüg
(765) und dit ole Schandwif dor? / Min Pird und minen klaren Lif / soll mindag keen Bur mit sine Poten angrapschen."26
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